Es wurde politisch in letzter Zeit in der Blogosphäre. Viele Geschichten wurden unter dem Hashtag #bloggerfuerfluechtlinge geschrieben, aber auch selbst erlebt. Es wurde sich engagiert, gespendet, diskutiert.
Flüchtlinge auf dem Dorf
Bislang hat mich das Thema Flüchtlinge nicht bis aufs Land hinaus verfolgt. Denn hier in Baiersbronn gibt es keine Not- oder Erstaufnahmestellen, hier kommen auch keine Züge oder Lkw mit seit Monaten Umherirrenden an.
Hier ist es einfach nur beschaulich und schön. Farbenfrohe Wochenmärkte, betuchte Touristengruppen, rieselnde Brunnen. Menschen, die seit Generationen hier wohnen und besonnen ihrer Arbeit nachgehen und sich alle liebhaben.
Nun lese ich aber auch die Lokalzeitung und so erfahre ich, dass es hier einen Arbeitskreis Asyl gibt, dem keine geringeren als die Baiersbronner Pfarrer, der Bürgermeister und einige Ortschaftsräte angehören.
Aha. Was machen die denn? Habe ich mal nachgefragt. Und zur Antwort erhalten:
27 Flüchtlinge sind seit August nach Baiersbronn gekommen. Ausnahmslos Syrer. Alle haben hier bereits Asyl beantragt oder sind gerade dabei. Man rechnet mit noch mehr Zuzügen in den nächsten Monaten.
Im AK Asyl engagieren sich vor allem Rentner, die nicht mehr so stark von den Pflichten des Alltags vereinnahmt werden wie ich zum Beispiel. Eine Rentnerin sagt:
„Eigentlich wollte ich im Ruhestand alle Pflichten los sein, aber jetzt habe ich mir gesagt: ich kann nicht, wie vor Jahren, demonstrieren für eine flüchtlingsfreundliche Politik, und wenn’s dann vor meiner Tür ist, nichts tun!“
Der AK Asyl bietet Sprachunterricht an. Eine Kleiderkamer ist bereits eingerichtet. Auch ein Sprach- und Begegnungscafé soll entstehen.
Überall leerstehende Häuser. Aber kein Platz für Flüchtlinge
Eine der Mammutaufgabe des AK Asyl scheint zu sein, sich nach geeigneten Unterkünfte umzusehen. Wohnungen oder ganze Häuser, die dann vom Landratsamt Freudenstadt angemietet werden. Eigentlich ganz einfach, möchte man meinen. Über 100 kleine und große Häuser in allen Renovierungszuständen stehen leer. Die Preise sind im Keller.
Ja, hier ist Leerstand, soweit das Auge reicht. Schulen schrumpfen, werden geschlossen. Die Leute bekämen heutzutage zu wenig Kinder, das sei der Grund, sagt man. Aber es gibt keinen Platz für die Flüchtlinge. Wer dennoch seine Immobilie für sie zur Verfügung stellt, der wird eben einfach nicht mehr liebgehabt. So einfach ist das.
Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich nicht hinnehmen will, dass reiche Unternehmer weiterhin leerstehende Häuser aufkaufen – um zu verhindern, dass dort demnächst Asylsuchende einziehen.
Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich nicht hinnehmen will, dass Haus- und Wohnungsbesitzer weiterhin Morddrohungen erhalten, sobald sie ihre Wohnungen an Asylsuchende vermieten wollen, oder dies bereits getan haben.
Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich weiß, dass wenige Straßen weiter meine Nachbarn zu den Zündhölzern greifen würden, würde das leerstehende Haus dort an Asylsuchende vermietet.
Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich es zum Kotzen finde, dass die Beiträge für die Brandschutzversicherung mittlerweile so hoch sind, dass Freudenstadt und Baiersbronn Schwierigkeiten haben, größere Gebäude anzumieten – „Das Risiko, dass es in einer Asylbewerberunterkunft brennt ist eben höher als bei einem normalen Wohnhaus“. Joarrrh.
Deshalb schreibe ich hier unter dem Zeichen #bloggerfuerfluechtlinge und habe außerdem an Bloggerfuerfluechtlinge gespendet.
Mitmachen
Eine zentrale Anlaufstelle oder Internetadresse hat der AK Asyl noch nicht. Wer mehr wissen, spenden oder mitmachen will, wendet sich an die Baiersbronner Pfarrämter.
Und: Wer im Kreis Freudenstadt freie Wohnungen oder Häuser anbieten kann, wendet sich am besten direkt ans Landratsamt Freudenstadt bei Benjamin Geigl, Telefon 07441 920-6170 oder Sandra Kaupp, Telefon 07441 920-6144.
BloggerFuerFluechtlinge ist eine Initiative der Blogger Nico Lumma, Stevan Paul, Karla Paul und Paul Huizing. Sie sammeln nicht nur die Textbeiträge, sondern auch Spenden. Damit sind sie ganz schön erfolgreich: Fast 90.000 Euro sind in einem 2. Spendenaufruf seit dem 24. August zusammengekommen.
Die Spenden gehen an größere und kleinere Hilfsprojekte in ganz Deutschland, die sich für die Geflohenen engagieren. Die Helfer kaufen Schulbücher, Kinderspielzeug, kochen, vermitteln privaten Wohnraum, renovieren Häuser oder leisten Aufklärungsarbeit zum Thema Flucht. Geld überweisen geht ganz einfach über die Spendenplattform Betterplace. Per Bankeinzug, Kreditkarte, Paypal oder giropay.
Was andere Blogger schreiben und tun (nur ein paar Beispiele…)
Mareicares hat das Flüchtlingshilfsprojekt Kreuzberg hilft ins Leben gerufen. Lucy Marshall lässt zwei Pakistanis bei sich wohnen, die unglaublich gut kochen können. Bei ihr habe ich zum ersten Mal gelesen, dass Schlepper Kleinkinder ins Meer werfen, wenn sie weinen.
Aber auch Blogger mit weniger Kapazitäten tun was. Spenden in eine Kleiderkammer in der Nähe fahren, wie Frau Brüllen. Andrea Harmonika schreibt über die Flucht der 17jährigen Lieselotte, die es fast nicht aufs Schiff geschafft hat (das war Andrea Harmonikas eigene Oma). Aber am meisten schockiert hat mich die Geschichte der 14-jährigen Béa, die als Vollwaise aus Rumänien flüchten musste und heute auf Tollabea bloggt.
❤
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Hier im nördlichsten Nordbaden ganz ähnlich. Ende der Idylle, das greifbare Elend rückt plötzlich ganz nah, und damit auch die Frage: was kann ich konkret tun? Aber auch die Überraschung: hier wird überall tatkräftig geholfen, ohne viele Worte, ohne mediale Aufmerksamkeit, einfach so. Sportvereine, Fasenachtsvereine, Freiwillige Feuerwehren, alle packen mit an. Ich hoffe inständig, daß das so bleibt.
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Danke für den Bericht über die „Idylle“ hier in Baiersbronn 🙂
Ich war so frei, ihn auf dem Asyl-Baiersbronn.de zu verlinken!
Ralf!
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Vielen Dank! Ich habe einen Kommentar dazu geschrieben. Grüße
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