
Auf dem Kleinkinderspielplatz
Immer wieder lese ich in Blogs über Spielplätze. Eltern beschreiben, wie sie mit ihren Kindern einen dieser beliebten Orte ansteuern und was dann dort passiert. Das liest sich in etwas so:
Ein Kind lässt ein anderes nicht rutschen. Ein Kind nimmt einem anderen die Schaufel weg, und gleich auch noch den Eimer, den Bagger und alle Sandförmchen. Eine Mutter packt Kekse für ihr Kind aus und drei fremde Kinder essen mit. Eine Vierjährige soll nicht mit Sand schmeißen, macht es trotzdem und kriegt zur Strafe drei Tage Spielplatzverbot. Ein Papa hat sich dem Sandburgenbauen verschrieben und gräbt den ganzen Sandkasten um, während eine Mutter auf der Bank oberschnöselig ihre High Heels auszieht und auf dem Smartphone nach Neuigkeiten sucht.
Die Kinder, die alle nur eines wollten, nämlich vergnügt spielen, können ihr Vorhaben nur in einem beschränkten Rahmen umsetzen. Sie freuen sich nur mäßig über die hundert anderen Kinder, die alle dasselbe vorhaben wie sie. Sie müssen die anderen entweder dauernd wegschubsen oder werden selbst geschubst. Alle Sandeimer und Laufräder sehen gleich aus, eine wilde Verleiherei und Tauscherei beginnt, bei der es zum Schluss nur noch darum geht, dieselbe Stückzahl an Dingen wieder mitzunehmen, mit der man von zu Hause losgezogen ist.
Und die Eltern? Die müssen alle anderthalb Minuten ihre Lektüre beiseite legen, um einen Streit nach dem anderen zu schlichten, wenn sie es nicht schaffen, sich mit schlechtem Gewissen hinter dem mitgebrachten Buch, Smartphone oder Zeitung verstecken. Von dort aus lässt sich heimlich beobachten, wie andere, völlig fremde Eltern oder Großeltern sich der eigenen Kinder erbarmen, wie sie sagen: „Lotta, gib dem Jungen den Bagger wieder“, Taschentücher hervorkramen, eine Runde Kekse ausgeben, auf der Schaukel anschubsen.
Trotzdem bleibt man insgesamt drei Stunden dort sitzen, denn mal ehrlich, eine Alternative gibt es in der Stadt nicht wirklich. Abends müssen sämtliche Sachen, inklusive die Schuhe der Eltern, in die Waschmaschine, denn der urbane Spielplatzsand ist vor allem eines: grauschmutzig.
Während unserer Jahre in der Stadt besuchten wir regelmäßig drei Spielplätze des Grauens:
- Der Kleinkinderspielplatz
Hier waren alle Geräte ungefährlich abgerundet und endeten auf Augenhöhe, sodass man sein Kind jederzeit vom Gerät pflücken konnte. Die Spielplatzdesigner waren zudem davon überzeugt, dass Kleinkinder oder Kleinfamilien nicht so viel Platz brauchen. Weil der Spielplatz also ihnen zuliebe so klein war, gab es kein Fleckchen, das nicht für irgendetwas genutzt wurde. Wo nicht Wasser und Sand ineinanderliefen, Rindenmulch verstreut war, Bänke standen, Mülleimer neben den Bänken, Fahrräder neben den Mülleimern, Fahrradanhänger an den Fahrrädern.
Die Kleinkinder, von Natur aus neugierig, untersuchten jedes Fahrrad, jeden Anhänger, packten die Wickeltaschen fremder Menschen aus, wühlten in den Müllkörben, mussten Kacka hinter Büschen machen, die gerade mal so hoch waren wie sie selbst und keine Blätter mehr trugen. Und jetzt stellt euch das Ganze noch rundherum eingezäunt und mit Warntafeln versehen vor. Wenn ich heute so darüber nachdenke, wundert es mich nicht, dass der Tonfall zwischen den Eltern bestenfalls passiv-aggressiv zu nennen war. - Der Wasserspielplatz
Hier konnte man hingehen, wenn das Kleinkind nicht mehr so klein war, dass es dauernd wegzurennen drohte. Den ganzen Sommer über beförderte eine Pumpe automatisch Wasser nach oben, das auf verschiedenen Wegen wieder abwärts floss. Ein Kiosk mit Cola und Eis direkt daneben. Eigentlich hätte es hier entspanntes Summer in the City-Feeling haben können. Wenn nicht, ja wenn nicht wieder die anderen gewesen wären. Der Spielplatz war erst ab 25 Grad Außentemperatur bespielbar, kam dadurch nur wenige Wochen im Jahr für einen Besuch infrage und war an den entsprechenden Tagen entsprechend voll.
Unmöglich, hier zwischen zweihundertfünfzig nackten und spärlich bekleideten Kindern das eigene noch herauszufiltern. Anstatt Gesichtern und Stimmen nahm man nur noch ein Kinderknäuel, ein Kinderinferno wahr. Man wusste nie, ob das eigene Kind schon vor Kälte zitterte, seinen Sonnenhut schon verloren hatte, in den künstlichen Bach geschubst worden war sich gerade von jemandem ein Eis schnorrtte. Einziger Vorteil dieses Spielplatzes: da man rein gar nichts tun konnte, sein Kind wiederzufinden, blieb einem nichts anderes übrig, als demütig neben hundert anderen schwitzenden Eltern bei 30 Grad in der Sonne zu sitzen, regelmäßig die Sonnencreme Faktor 50 aufzutragen und die zu Hause für die Kinder kleingeschnittenen Melonenstückchen selbst aufzuessen. - Der große Stadtteilspielplatz
Hierher kamen alle, die nicht zum Kleinkinderspielplatz mussten, siehe oben. Die älteren Kindergartenkinder und die Schulkinder hatten hier ihre Cliquen, was ein Grund dafür war, dass sie jeden Tag, wirklich jeden Tag, hierher wollten. Aber auch wenn das Klientel schon ein gewisses Alter erreicht hatte: alleine in der Stadt herumlaufen lassen kann man seine Kinder ja nicht. Kinder (auch Schulkinder) geraten unter Autos, die aus unsichtbaren Ausfahrten schnellen, und unter Straßenbahnen. Sie begegnen auf dem kurzen Weg zum Spielplatz potenziell einem Dutzend potenzieller Straftäter. Also müssen auch hier die Eltern mit. Und sitzen dann da tatenlos auf Bänken herum, telefonieren oder chatten mit Partnern und Freunden, die das Glück hatten, heute daheim oder auf der Arbeit sein zu dürfen. Diesen Eltern bleibt über kurz oder lang nichts anderes übrig, als selbst Cliquen zu bilden. Sie nutzen den angrenzenden Platz für Smalltalks mit Latte Macchiato oder Bier auf den Tischen, gehen dort in den hippen Second-Hand-Shop, in denen ein gebrauchter Babybody 12 Euro kostet, kaufen alle halbe Stunde ein Eis und nach zwei Stunden Currywurst mit Pommes für die immer hungrigen Kinder, und regen sich über die kaputten Klos und die vielen Scherben auf dem Boden auf, während sich langsam, ganz langsam der graue Schleier des aufgewühlten Spielplatzsandes auf ihr Haar legt.
Das alles ist Geschichte. Wenn ich heute in Blogs lebensnahe Spielplatz-Berichterstattung lese (wie zum Beispiel bei Frau Mierau, inklusive aller Kommentare) lach ich mir immer heimlich ins Fäustchen. Dann denke ich wieder an all die Spielplätze, die ich als Stadt-Mama täglich (ja! täglich!!!) besuchen musste. Mein jüngeres Kind ist auf dem Land groß geworden und kennt noch nicht einmal das Wort für Spielplatz. Und das soll auch so bleiben.
Der Beitrag nimmt an der Blogparade „Spielplätze“ von dreamingtoday teil.
Wenn ich mich recht erinnere sind aus Kindersicht alle Spielplätze extrem toll egal wie die Erwachsenen die finden. Man (Kind) nimmt das ganz anders wahr und ignoriert Beton (80er!) usw.
Was ich heutzutage am Spielplatz Design schrecklich finde, ist das alles überschaubar ist. Keine Ecken, dunkle Stellen o.ä. nicht einmal Gebüsch. Wie soll man da als Kind ungestört spielen, sich entfalten? (Ja ich weiß, ist wegen der Sicherheit.)
Danke für die lustige Liste der Klischees!
LikeLike
Das stimmt. Das ist ja auch der Grund dafür, warum man als Erwachsener da jeden Tag mit ihnen hin muss. Allerdings habe ich festgestellt, dass Kinder Spielplätze gar nicht vermissen, solange genügend andere Spielfläche zur Verfügung steht. Genügend Auslauf, ein paar Kletter- und Versteckmöglichkeiten, Wasser, Sand und/oder Dreck, obendrüber Himmel. Nur gibt es das in der Stadt ja nicht, außer vielleicht noch in größeren Parks, aber da lässt man Kinder nicht spielen (zu dreckig, zu viele Penner oder Kinder verboten).
LikeGefällt 1 Person
Ja, es gibt wohl wirklich einen Unterschied, zwischen Stadt und Land. Das merke ich auch immer wieder, wenn wir in Deutschland zu Besuch sind.
Ich muss aber sagen, gerade einen Wasserspieplatz vermisse ich sehr bei uns. Nur wird es im Sommer selten so warm, dass es vielleicht deshalb wenig Sinn machen würde… 😉
Schön, dass dein Beitrag mitmacht bei meiner Blogparade.
Liebe Grüße,
Lara
LikeGefällt 1 Person