Coronatagebuch Tag #17

Als ich heute zum ersten Mal blinzele, ist es schon fast 12 Uhr. Eingedenk der Zeitumstellung (dieses Jahr hätte man das aber wirklich mal lassen können!) und der Zeitverschiebung, die wir in den letzten zwei Wochen schon praktizieren, ist es aber erst 8 Uhr, beruhige ich mich.

Heute wird Wäsche zusammengelegt, gebadet, Haare gewaschen, lecker gekocht und Minecraft gespielt. Ich fange mit GRM an. Das Neinhorn haben wir schon zwei Mal gelesen. Wir haben uns eine ANTIlope und einen HAUwurf ausgedacht.

Heute ist auch ein wenig Zeit für Fakten. Die sind sehr beliebt derzeit und überall zu haben (so lese ich jeden Abend im Worldometer, wie viele Infizierte es wieder gibt), dabei sind und bleiben die Zahlen aber ziemlich umwölkt, wenn man mal genauer hinsieht.

Zahlen, Zahlen, Zahlen

Denn: viele Infizierte erhält man, wenn Mediziner und Politiker monatelang nicht reagieren und die Bevölkerung erst spät oder spärlich auf das Virus testen (wie mutmaßlich in Italien geschehen). Das führt aber zu einer verzerrten Aussagekraft. Fängt man erst spät an zu testen, erhält man insgesamt weniger Zahlen. Testet man überhaupt nur spärlich, erhält man ebenfalls insgesamt weniger Zahlen. Schlussendlich aussagekräftig erscheint da nur die Zahl der Todesfälle. Die liegt dann aber im Vergleich zu den vielen nie getesteten (und wieder gesundeten) Infizierten viel zu hoch.

Aber sogar um die Aussagekraft der Todesfälle wird gestritten. So macht es einen Unterschied, ob man ein schwer lungenerkranktes COVID-19-Opfer beerdigt. Oder jemanden, der aufgrund eines Herzinfarkts oder einer anderen Krankheit gestorben ist und bei dem nun posthum oder aus Routine auf COVID-19 getestet wird. Der erste Fall war bereits während seiner Erkrankung Teil der offiziell Infizierten. Der zweite Fall nicht.

In jedem Land wird anders schnell, anders gründlich getestet. Keiner kann etwas Belastbares dazu sagen, wie viel Prozent z.B. der Deutschen schon getestet wurden. Weil sich nur Leute mit Symptomen UND mit Kontakt zu einem bereits Infizierten testen lassen dürfen, die Krankheit aber häufig gar keine Symptome produziert, man logischerweise auch keinen Infizierten kennen muss, um die Krankheit selbst zu bekommen, ergibt das ein verzerrtes Ergebnis. Wenn sich wenige Prominente wie Merkel zur Sicherheit mehrmals testen lassen dürfen, obwohl sie keine Symptome haben, ergibt das ein verzerrtes Ergebnis. Wenn manche Länder beschließen, sie zählen einfach alle ausgeteilten oder in Laboren untersuchten Tests zusammen, andere aber beschließen, sie zählen nur die positiven Tests, ergibt das ein verzerrtes Ergebnis.

Einmal Lockdown, immer Lockdown

Noch mehr Stoff für einen Sonntag liefert folgende Überlegung:

Die meisten betroffenen Länder Europas, so auch Deutschland, haben sich für ein Szenario entschieden, bei dem sich möglichst wenig Personen anstecken sollen. Bestenfalls sind wir wie China nach ca. 3 Monaten wieder bei fast null Neuinfizierten pro Tag. China kann diese Zahl aber nur halten, indem es seine Grenzen geschlossen lässt. (Wenn die Zahlen stimmen, aber mit Zahlen hatten wir es ja bereits.)

Auch wenn eine Ansteckung so gut wie aller Menschen nicht vermieden werden kann (davon ist derzeit auszugehen), so sollen diese Ansteckungen doch über einen möglichst langen Zeitraum gestreckt werden. Hintergrund ist die Entlastung der Krankenhäuser. Wenn alle nacheinander krank sind, bleibt mehr Kapazität, um Schwerkranken zu helfen.

Das Ganze ist also in erster Linie ein Spiel mit der Zeit. Indem alles (Wirtschaft, Bildung, Kultur, Sport, Familie, Freundschaft) über einen bestimmten Zeitraum einfach angehalten wird, wird auch das Virus angehalten.

Deutschland hat sich also, wie viele andere Länder, auf das Null-Ansteckungs-Spiel geeinigt.

Spielen wir dieses Gedankenspiel weiter (ja, es ist ein Spiel, denn vieles ist Spekulation): nach wenigen Wochen stecken sich schon deutlich weniger Menschen an. Das Leben wird langsam wieder hochgefahren. Bestimmte Bereiche wird man aber niemals über viele Monate oder Jahre nicht wieder öffnen können, bevor es keinen Impfstoff gibt. Denn große Teile der Bevölkerung haben das Virus ja gar nicht gehabt und sind nicht immun dagegen geworden. Sie gefährden noch immer vor allem die Risikogruppe (Menschen mit Vorerkrankungen und alte Menschen). Diese Risikogruppe müsste also über einen viel längeren Zeitraum effizient vom Miteinander ausgeschlossen werden. So lange, bis ein Impfstoff gefunden wird, oder mindestens bis zu dem Zeitpunkt, an dem Tests auf Antikörper an der Tagesordnung sind. So einen Test müsste dann medizinisches Personal/ Pflegepersonal zwingend vornehmen, bevor es überhaupt zur Arbeit gehen darf. Vielleicht dürfen auch nur diejeningen Kinder wieder in Schule und Kindergarten, die nachweislich Antikörper gegen das Virus haben (vergleichbar mit der neuen Masern-Impfpflicht, die seit dem 1. März gilt).

Auch die Grenzen werden über einen langen Zeitraum noch stark kontrolliert werden, selbst nachdem die Gefahr lange gebannt scheint. Denn jeder Staat zeigt ja jetzt schon mit dem Finger auf alle anderen Staaten, lauthals verkündend: DA wurden aber viel zu spät Maßnahmen ergriffen, DIE haben ja gar nicht richtig gezählt, DORT wird sich nicht an dieselben Regeln gehalten wie bei uns!

Ärmere Staaten bzw. Gegenden mit geringer medizinischer Versorgung werden gar keine Maßnahmen für eine verlangsamte Ansteckung treffen können. Man kann also davon ausgehen, dass dort im Schnitt mehr Menschen an COVID-19 sterben – aber die Bevölkerung auch schneller dagegen immun wird. Aber sterben dort die Menschen nicht auch an Malaria, Cholera, Schwindsucht? Wer führt zuverlässig Buch über die jeweilige Todesursache, um den Verlauf wirklich (prozentual bereinigt) mit z.B. europäischen Verhältnissen vergleichen zu können?

Kurz: die Grenzen werden zu bleiben, Schengen wird noch lange außer Kraft sein, und selbst wenn die Freizügigkeit der EU-Bürger innerhalb der EU nach zahlreichen Auflagen und Bedingungn wieder garantiert ist, werden wir noch lange Zeit, Jahre womöglich, die Grenzen nach außen geschlossen halten. Menschenmassen, die an den Grenzzäunen der EU Einlass begehren, werden der Vergangenheit angehören.

Denn überall auf der Welt wird das Virus zu einem anderen Zeitpunkt auftreten. Wir sind womöglich bereits über dem Zenit, in Amerika geht es gerade erst los. Ist Amerika durch, sind Australien und Afrika dran. Glaubt man, aufatmen zu können, geht die zweite Welle in China wieder los.

Wenn kein Impfstoff gefunden werden kann (und es gibt für viele bekannte Krankheiten keinen Impfstoff, s. Malaria – 500.000 Neuerkrankungen und 1 Million Tote weltweit jährlich oder AIDS – insgesamt 770 000 Tote weltweit 2018 oder Tuberkulose „Drei Tote pro Minute“), man das Nullsummenspiel aber auch nicht aufgeben möchte, wegen dem Legitimationsproblem, trifft uns die zweite Welle genauso hart wie die erste.

Wir wären zwar katastrophenschutztechnisch vorbildlich vorbereitet, weil wir Corona ständig auf dem Radar haben und beim zweiten Mal auch genügend Schutz- und Beatmungsmaterial zur Verfügung hätten. Aber es gäbe immer noch nicht genügend Antikörper in der Bevölkerung. Somit können die strengen Regelungen, wie sie aktuell gelten, immer nur zeitweise außer Kraft gesetzt werden.

Die folgenden Jahre sähen dann so aus: Drei Monate alles dicht, drei Monate Übergangszeit, sechs Monate alles wieder normal außer dem Grenzverkehr, drei Monate alles dicht…

Oder wir lassen es.

Heute sind es 62.095 Infizierte in Deutschland, 9.211 sind wieder gesund und 525 sind gestorben. Weltweit sind es 718.116 Fälle und 33.887 Tote innerhalb von etwa 4 Monaten.

Quelle

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