Coronatagebuch Tag #18

Die Regelungen, die zurzeit außerhäusig gelten (1,5 Meter Abstand, maximal zu Zweit draußen sein, keine unnötigen Besuche, keine Picknicks, keine Spielplätze, vielleicht bald Mundschutz im Supermarkt, wie in Österreich) führen dazu, dass ich mich fürchte, sobald ich rausgehe.

Vom Balkon aus habe ich gesehen, dass der Himmel so blau und streifenfrei ist wie in den kolorierten Postkarten von früher. Ich habe auch den Fluss gesehen, und der war heute so flaschengrün wie ein Hochgebirgssee. Die Luft war auch so dünn, eigentlich bekam man trotz des glasklaren Wetters kaum Luft. Ich wähnte mich in ungefähr 5000 Metern Höhe. Vielleicht war unser Haus ja in die Anden versetzt worden? In die Anden der frühen Fünfziger, ganz ohne Flugzeuge am Himmel?

Um das zu überprüfen, ging ich am Fluss spazieren. Der braune Schlamm war verschwunden. Stattdessen stiegen in dem blanken Wasser unzählige Kleinstteile und Mikroorganismen auf und ab, und ab und zu gab es helle Strudel, dort war das Wasser in der Sonne sogar ganz weiß.

Nach nur zwei Wochen stillhalten ist die Welt sauber geworden.

Die Menschen gehen an einem Montagnachmittag spazieren. Aber nicht nur die Mamas mit Kindern und Schulranzen im Schlepptau. Und auch nicht nur die älteren Damen mit ihren Einkaufs-Trolleys. Nein, die Leute sind familienweise draußen, wie an einem Sonntag. Männer sind alleine unterwegs. Männer sind mit Kindern unterwegs. Alle tragen Freizeitkleidung.

Da der Weg am Flussufer ein wenig eng ist, bleibt man in respektvollem Abstand stehen, sobald jemand entgegenkommt. Man grüßt sich nicht, man blickt nach unten oder sieht sich kurz in die Augen mit geschlossenem Mund. Nicht lachen. Nicht sprechen. Aber freundlich bleiben.

Die anderen treffen, laut lachen, Bierflasche zu Zweit, Joint zu Viert, vom Eis ableckenlassen, sich verstohlen die Hand geben, eine Umarmung als mehr interpretieren, sich nach vorne drängeln, zusammen in der Sonne beim Musikhören schwitzen, jemandem seinen Pullover um die Schultern legen.

Das bringt bis zu 1.000 Euro Strafe laut dem seit heute geltenden Bußgeldkatalog. Pro Person. Bei einem Wiederholungsdelikt drohen bis zu 25.000 Euro Strafe.

Mit dem Sohn oder der Tochter flanieren, mit Musik in den Ohren joggen, zu Zweit Kniebeugen machen, mit geschlossenem Mund lächeln, sich umdrehen, bevor die fünfköpfige Familie zu nahekommt, und als älterer Mensch lieber alleine rausgehen, um sich keine Fragen stellen lassen zu müssen. Das scheint nach derzeitigem Stand erlaubt.

Was brauchen wir eigentlich auch diese Rudelbildung, diesen Schweißaustausch, dieses Gefeiere immer nach der 80-Stunden-Woche. Lieber arbeiten wir gar nicht erst. Dann müssen wir uns auch keine Sorgen mehr um unser Bruttosozialprodukt machen. Und um den Exportstandort Deutschland. Und wir müssen zum Ausgleich nicht mehr so hart feiern. Und keine Drogen mehr nehmen. Und auch keinen zeitfressenden Hobbies mehr nachgehen. Und uns keine neuen Klamotten mehr kaufen, weil außer beim Spazierengehen oder Einkaufen sieht uns ja niemand. Und uns auch nicht mehr schämen beim Fliegen, weil das ja gar nicht mehr geht.

Und die Kinder müssen nicht mehr in den Kindergarten gehen, weil wir ja nicht mehr so oft zur Arbeit müssen und auch nicht mehr so viel Schlaf brauchen. Wir können aber trotzdem ausschlafen, weil auch die Kinder liebend gerne bis 10 Uhr im Schlafanzug rumgammeln, bevor sie sich gegen halb 11 das erste Nutellabrot des Tages mit viel Röstzwiebeln schmieren.

Heute sind es 66.718 Infizierte in Deutschland, 13.500 sind wieder gesund und 645 sind gestorben.

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