Coronatagebuch Tag #54

Was machst du eigentlich den ganzen Tag?

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Diese Frage stellte Bloggerkollegin Frau Brüllen vor ungefähr 27 Millionen Jahren. Also noch vor Corona. Die Frage soll immer am 5. eines Monats inklusive Hashtag #wmdedgt in einem Blogeintrag beantwortet werden.

Mittlerweile ist es so, dass sich nicht nur eine Handvoll Realos diese Frage stellen, die es begrüßen, dass ihr Alltag langweilig ist (äh – so wie ich). Nein, gerade stellen sich alle Menschen die Frage, was mache ich hier eigentlich die ganze Zeit. Und das auch noch 24/7 und in Echtzeit.

Dabei entstehen recht absurde Ideen. Wie z.B. die, dass es kein Virus gäbe, wir umsonst eingesperrt würden, weil uns jemand (ein Computererfinder und Gesundheitsmogul etwa) gefügig machen wollte. Weil das für sich genommen noch ziemlich langweilig ist, so über seine Lage herumzuphilosophieren, kann man jetzt auch jenseits der einschlägigen Onlineforen aktiv werden. Auf verbotene Demos gehen. Parteimitglied werden (in einer Gruppierung, die die Regierung absetzen will). Oder in den bewaffneten Untergrund gehen, wie es der Koch mit Kochshow unlängst verkündete.

5. Mai 2020

Der Tag beginnt wie jeder Homeschooling-Tag. Vater und Tochter stehen zwischen halb 8 und halb 9 auf. Beide haben letzte Woche neue Geräte bekommen. Ein neuer Laptop im Haus Landfamilie war überfällig. Und die Tochter hat ein Schul-iPad geliehen.

Seither habe ich meinen Laptop wieder für mich. Könnte eigentlich 24/7 arbeiten. Geht aber heute schlecht. Ging auch gestern schlecht. Wird auch morgen nur solala gehen. Die Schule in diesem Haus geht vor.

Die beiden Kindergartenkinder des Hauses bemerken es sofort, wenn sie nicht im Fokus stehen. Sie werfen sich auf den Boden; wenn man sie anspricht, antworten sie nicht, sondern beschweren sich über alles Mögliche. Spielzeug wird durchs ganze Haus geschleppt und natürlich wird nur in höchster Lautstärke gespielt.

10:25 Uhr. Ich habe mich ins Heimbüro geschlichen. Erstmal Brief ans Finanzamt tippen und diverse Geräte-Reparatur-Services anrufen und Zeug reklamieren. Ich plane einen Ausflug zur Stadtbücherei, mit Umweg über Handy- und Laptopreparaturservice. Ich lese E-Mails und korrigiere einen Text. Die Kinder wollen, dass ich ihre Puppe frisiere. Sie streifen sich alle Haargummis, die sie finden können, über die Handgelenke. Sieht nach einem neuen Trend aus. Mangels Festivalarmbänder diesen Sommer.

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Dann stelle ich Albas tägliche Sportstunde an. Die Kinder sind nicht so begeistert, machen aber brav mit.

12:15. Abzüglich wievieler Minuten? habe ich heute eine Stunde gearbeitet, beschließe ich. Schreibe ich auf. Das alles funktioniert nur, weil glücklicherweise Deadlines und Termine verschoben wurden. Weil ich eh in Projekten arbeite, bei denen es unterm Strich meine Sache ist, wie lange ich brauche. Und weil das Arbeitsamt länger zahlt. Und weil es trotz allem immer noch Jobs gibt, mit denen ich vom ALG wegzukommen gedenke.

13:00 Es gibt Mittagessen. Danach muss der Lehrer sofort wieder in sein Büro. Die Kinder üben Zaubertricks: „Mama, mach mal die Augen zu…!“

Zwischen 14 und 15 Uhr ist das Schulkind normalerweise fertig. So auch heute. Wir haben unseren „Kreis“ um eine neue Familie alte Freunde erweitert. Seither treffen sich die Kinder jeden Tag. Helm auf, Mundschutz auf, schon ist die Tochter auf dem Weg zur Haltestelle.

15:00 Der Mann hat eine Videokonferenz. Wir hauen lieber ab. Wir bringen Bücher zur Stadtbücherei, essen ein Eis und kaufen dem Sohn einen Fahrradhelm. Er trägt ausschließlich gebrauchte Sachen. Auch sein Fahrrad ist mehrfach gebraucht. Was ganz Neues an ihm zu sehen, kommt einer Premiere gleich. Ich habe extra viel Geld auf dem Konto, weil ich die letzten zwei Monate so gut wie nichts gekauft habe. Auf eine sehr große Wirtschaftskrise würde ich jedenfalls nicht wetten.

Funfact: Seit Mundschutz in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr Pflicht ist, tragen viel weniger Menschen das Stück Stoff freiwillig auf der Straße oder beim Fahrradfahren. Überhaupt finde ich, es fühlt sich gar nicht mehr nach Corona an. Die Sonne scheint immer noch hell, aber nicht mehr apokalyptisch. Es gibt auch Zwischentöne. Zum Beispiel haben alle Geschäfte auf, nur die Cafés sind verrammelt. Das Stadtleben fühlt sich dadurch mehr nach Landleben an. Man geht halt nur zum Einkaufen raus, lungert nicht an einem place to be mit free wifi auf Palettenholzmöbeln herum. Keiner bleibt sitzen, stehen, liegen, keine Gruppen quatschen, rauchen, lachen. Stattdessen stehen Leute in Schlangen vor dem ein oder anderen Geschäft. Insgesamt wirken alle sehr bodenständig.

Das Eis schmeckt nicht. Eigentlich meine Lieblingssorte. Aber was man mit Mundschutz auf den Lippen auswählt, schmeckt auch danach nach Papier. Für euch getestet.

Nach dem Eis geht es in die Stadtbücherei. Wer einen Mundschutz aufhat und eine Büchereikarte dabei, darf sich erst an einem Spender desinfizieren und dann immer den Pfeilen folgen. Über Umwege betritt man den Buchbereich, aber nicht ohne pro Person einen Streifen Papier zu bekomen, den man die ganze Zeit in der Hand hält und am Ausgang zurück in einen Korb wirft. Es fühlt sich ein bisschen an wie Schnitzeljagd.

Oh Mann, die halbe Welt hat einen hübscheren Mundschutz als ich. Frust!!! Besser bleibe ich ab jetzt zu Hause. Also bis der urbandoo (ist immer noch keine Werbung) da ist. Seufz. Die Kinder haben Yakari, Lucky Luke und Wormworld ausgesucht. Ich nehme Marianengraben mit. Auch wenn mir gar nicht nach etwas Traurigem ist.

18:00 Mann, der Junge sieht mit dem gelben Helm toll aus. Wahrscheinlich bin ich verblendet. Schließlich ist er mein Sohn und er sähe in jedem gutsitzenden Helm toll aus. Ich fahre den ganzen Heimweg hinter dem gelben Helm her und denke zum ersten Mal, dass er jetzt emdgültig groß ist und eigentlich nicht noch größer werden muss. Was Eltern eben so denken.

Abends gibt es Brot mit wahlweise Knoblauchraukensoße, Tomatenmark oder Käse. Ein bisschen wird aufgeräumt. Gelesen und gebloggt. Ich freue mich sehr auf morgen. Unsere Nachbarin hat angerufen und Kindertausch angeboten. Wir haben dann drei Kindergartenkinder von 9-12 bei ihr und von 12-15 Uhr bei uns. Das hat sich bewährt. Dann kann ich morgen vielleicht eine Bewerbung schreiben. Mal sehen.

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