Tag #700
An Christi Himmelfahrt machten wir, was alle machten. Wir hatten uns drei Wochen vorher einen Tisch in einem Café reserviert. Da wir zu fünft waren, musste man für uns immer zwei Tische zusammenschieben und drei Plätze aus dem Kontingent streichen. Das war nicht so einfach zu kriegen. Aber diesmal hatten wir Glück.
Am liebsten gingen wir in den Biergarten mit den Kastanienbäumen, aber dieses Jahr war er geschlossen. Die Bäume waren völlig vertrocknet und warfen ihre Äste ab, was für die Kundschaft gefährlicher war als das Coronavirus. Die Besitzer hatten zu lange gewartet, sie hätten die Bäume im Februar absägen müssen. Aber da waren sie noch im Lockdown gewesen und nicht sicher, ob sie überhaupt wieder öffnen konnten. Und jetzt hatten sie zwar geöffnet, waren aber zu.
Früher war Christi Himmelfahrt ein Tag gewesen, an dem sich Freunde trafen und zusammen einen über den Durst tranken (nach Geschlecht getrennt, wegen eines Übersetzungfehlers des Feiertags bei der Übertragung ins Deutsche). Heute machte das niemand mehr. In einem Freundes-Cluster durften nur vier Nicht-Verwandte sein, von denen maximal eine Person alle sechs Monate durch eine andere ersetzt werden durfte. Schwierig, sich unter solchen Umständen zu treffen.
Deswegen war Christi Himmelfahrt seit einigen Jahren einfach ein Sommertag, den die Familie zusammen draußen verbrachte. Spielplätze, Eisdielen, Schwimmbäder, Kinos, Vergnügungsschifffahrt und andere Freizeiteinrichtungen hatten immer wieder für Monate geschlossen, öffneten dann der Reihe nach wieder, um anschließend unabhängig voneinander wegen Vorfällen wieder in Quarantäne eingestuft zu werden. Das hatte nicht wenigen dieser Einrichtungen die Existenz gekostet. Das meiste, was es noch gab, war in kommunaler Hand. Die Auflagen waren hier immer dieselben: Gesichtsmaskenpflicht, 1,5 Meter Abstand, desinfizieren vor Betreten, desinfizieren beim Verlassen, keiner länger als 45 Minuten, und so weiter. Öffentliche Toiletten gab es nirgends, außer die von Sanifair. Eine einmalige Benutzung kostete 5 Euro, was auf den Besuch einer Einrichtung obendraufzulegen war. Ein längerer Restaurantbesuch mit fünf Personen konnte also teuer werden.
Trotzdem wollten wir etwas Einmaliges und nahmen daher den Termin im Café auf uns – machten die Online-Buchung mit Angabe von Namen, Adresse, Geburtsdatum, zahlten auf Vorkasse und erhielten den QR-Code, suchten die passenden Masken heraus und wuschen sie rechtzeitig, gingen kurz vorher alle bei uns zu Hause auf die Toilette und waren auf die Minute pünktlich. Unsere Kleine war mittlerweile sechs Jahre alt und stolz darauf, nun auch endlich eine Maske tragen dürfen. Kurz vor dem Losgehen hatte sie noch geweint, weil ihre geliebte Maske mit den Pferden in der Wäsche war. Aber eine Maske mit Blümchenmuster tat es auch.
Wir saßen am liebsten draußen. Bei einigen Cafés, die die Fenster immer offen haben konnten und nicht zu klein waren, durfte man auch drinnen sitzen, aber uns Älteren war das zu steril. Wir kannten noch die verwinkelten, gemütlichen Spelunken von früher. Da gab es Kissen, Ecken, manchmal Spielzeug für die Kinder oder lebendige Katzen. Man durfte am Tresen sitzen und mit dem Barkeeper sprechen. Man konnte sich auch zu Fremden an den Tisch setzen und diese eventuell sogar kennenlernen. Heute war sowas nur noch in Filmen zu sehen.