Coronatagebuch Tag #90

Die Sorgen der Eltern

Eltern gehen mit Kleinkindern fünfmal am Tag Händewaschen

Eltern sagen jeden Tag: Aber nur noch eine Sendung, dann reichts

Eltern umarmen andere Eltern AUF DER STRASSE

Eltern haben Angst vor Impfungen

Eltern haben Angst vor Ansteckung

Eltern haben Existenzangst

Eltern wollen nicht einmalig 300 Euro Kindergeld

Eltern sind #coronaeltern und #elterninderkrise

Eltern sind auch mal alleine zu Hause

Eltern besuchen andere Eltern, um mal zu schlafen

Eltern treffen sich mit 5 Metern Abstand zur Kita-Leiterin, um den 1,5-Meter-Abstand zwischen den Kindern infrage zu stellen

Eltern beziehen die neuesten Nachrichten über WhatsApp, die Seite vom Landtag, die Stuttgarter Zeitung und über irgendwas24.de, um herauszufinden, ob ihre Kinder bald wieder in den Kindergarten dürfen

Eltern bringen ihre Kinder bald wieder in den Kindergarten oder auch nicht

Eltern haben Angst vor der Schulöffnung, weil dann das Leben wieder um 6 Uhr morgen losgeht und um 10 Uhr schon wieder das Mittagessen vorbereitet werden muss

Eltern haben immer mehr Termine und nehmen ihre Kinder einfach mit ins Büro, zur Besprechung im Café, zum Arzt

 

Ein Satz stimmt nicht.

Coronatagebuch Tag #88

Arbeit in Zeiten von Corona

Fünf Minuten nach dem Frühstück klappe ich den Bildschirm hoch, setze die Kopfhörer auf und bin mitten auf der Arbeit. Beim Video-Interview schauen zwar ein paar Mal die Kinder rein und fragen, was sie anziehen sollen, aber das stört nun wirklich keinen. Verbrachte Zeit in einem Fahrzeug: 0, CO2-Ausstoß beim Weg zur Arbeit: 0.

Überzeugungen in Zeiten von Corona

Der Lockdown wird ausgeschlichen. Und auch wenn es absolut nicht sein muss, dass Klamottenläden, Schulen und Spielplätze jetzt wieder auf haben, es gibt auch ein paar positive Entwicklungen.

Unter einem Lindenbaum in einem Café eine Limo zu trinken ist ein Traum, den wir vor vier Wochen noch nicht zu träumen wagten.

Hauptsache draußen sein. Hauptsache viele sein. Hauptsache Alkohol. Das scheint so das Motto vieler Menschen gerade zu sein, aber ich habe auch nur eine Momentaufnahme gemacht.

Gleichzeitig nehmen die Demos zu. Aber auch mag nur nur eine Momentaufnahme sein. Aktuell und aus traurigem Anlass gegen Rassismus, gegen die amerikanische Politik bzw. gegen Polizeigewalt. Außerdem gegen Kohleenergie, Abwrackprämie und gegen Firmen und politische Entscheidungen, die das 1,5-Grad-Ziel nicht berücksichtigen. Für mehr Fahrradwege (Pop-up bike lanes). Gegen die Corona-Verordnungen im Speziellen und gegen eine Über-Regelemtierung im Allgemeinen. Überall laufen Linke und Rechte mit, die wahlweise zum „Polizisten klatschen“ aufrufen oder Kamerateams angreifen. Die mit lokalen, landes- oder bundesweiten Beschlüssen nicht einverstanden sind oder das ganze Land an sich ablehnen.

Haushalt in Zeiten von Corona

Der Haushalt wird zwar immer zäher und liegt immer mehr so rum. Theoretisch sind aber fünf Personen zwischen 4 und 41 Jahren täglich anwesend, sodass jeder einen Teil davon abarbeiten könnte. Praktisch sah heute so aus:

  • Mutter: räumt alles Lego und Playmobil auf und eliminiert dabei kiloweise Staub
  • Vater: plant die nächsten Renovierungs-Schritte am Telefon, wäscht ab, sägt Fußbodenleisten
  • Kind 3: spielt erst Bootfahren, verarztet dann eine Maus, hilft dann Playmobil entstauben und liegt dann „Hunger!“ maulend in der Ecke
  • Kind 2: liest erst alle Pixibücher durch, spielt dann Bootfahren, hilft dann Playmobil entstauben, räumt ein bisschen auf und malt dann etwas
  • Kind 1: macht liegengebliebene Hausaufgaben fertig, liest ein Buch über den Krieg in Syrien, kocht Nudeln, liest dann ein Was ist Was-Buch

Später am Nachmittag geht es weiter im Kirschen entsteinen und mit Fleisch grillen. Immerhin sind gerade Pfingsferien.

Was ist wichtiger im Leben. Arbeit, Überzeugungen durchsetzen, den Haushalt hinkriegen? Den größten Teil nimmt aktuell täglich der Haushalt ein, dazu zähle ich auch Fahrten zum Bauhaus, Renovierung, Gartenarbeit. Dass mir dieser Part des Lebens von seiner Bedeutung her leider sehr wenig wert erscheint, macht die Sache nicht besser.

Coronatagebuch Tag #85

Windstärke 0

Die Oberflächen, Fenster und Spiegel sind blank geputzt. Die Blumen haben frische Erde. Das Milchaufschäumgerät zischt laut durch den leeren Raum. Es duftet nach frischem Kaffee mit einer Note Desinfektionsmittel.

Man darf das Café wieder besuchen. Man darf sich eine Zeitschrift aus dem Zeitschriftenständer nehmen und diese am Platz lesen. Man darf am Platz auch den Mundschutz abnehmen.

Auf dem Weg dorthin sind wir Klebepfeilen am Fußboden gefolgt und haben insgesamt dreimal die Hände desinfiziert. (Die Kinder haben sich nicht daran gestört, sie hätten ihre Hände auch dreißigmal unter einen Spender gehalten.)

Jetzt sind wir drin, im fast leeren Café der Stadtbücherei. Die Kinder spiegeln die Ruhe und Leere der Umgebung wider. Sie erzählen der Bedienung entspannt, was sie gerne essen wollen. Die Brezel und das Croissant kommen fast sofort. Dazu zwei Gläser Kakao. Die Kinder staunen die randvollen Gläser an, als hätten sie zum ersten Mal Kakao serviert bekommen. Sie essen und trinken in heiligem Ernst. Danach blättern sie ganz ruhig in den Büchern, die sie ausgeliehen haben, betrachten die Bilder ohne was zu sagen oder sich zu streiten.

Danach nehmen wir sie mit in den Zuckerladen. Das ist ein dunkler, vollgestopfter kleiner Laden, der alle Süßigkeiten beherbergt, die man sich nur vorstellen kann, und noch viel mehr. Der Laden lebt von den Touristen und von der Atmosphäre, die entsteht, wenn ganz Gruppen sich in drinnen auf die Zehen treten und draußen trotzdem noch eine Schlange steht.

Das weiß jeder, der den Zuckerladen kennt. Noch nie habe ich die schillernden Besitzer, die eher so etwas wie Zirkusdirektoren als Ladeninhaber verkörpern, so ruhig, beinahe ratlos erlebt. Wir sind die einzigen im Laden, bis später noch zwei Leute dazukommen. Ein dritter muss draußen vor der Tür warten.

Eigenlich ist alles wieder wie vorher.

Nur ohne Leben.

Ich habe einen Antrag auf Notbetreuung im Kindergarten eingereicht. Dort sind aktuell nur 9 Kinder, es werden aber schnell mehr. Fun fact: die Kinder müssen alle untereinander den Abstand von 1,5 Metern einhalten. Kinder ab 1! Das entspricht (nach gründlicher Recherche) nicht den Empfehlungen und Verordnungen des Landes.

Der Bund verspricht allen Eltern ein zusätzliches Kindergeld von einmalig 300 Euro pro Kind.

Fast alle Länder Europas öffnen ihre Grenzen wieder. Noch zehn Tage.

Schwimmbäder öffnen demnächst überall in Baden-Württemberg wieder, nur nicht bei uns. Aber es gibt einen Lichtblick: Ein lokaler Schwimmverein bietet demnächst Trockenübungen auf einer Wiese an.

Der Mundschutz hat sich in meinem Hirn verselbstständigt. Wenn ich zwischen Apotheke, Bus, Bücherei und Café unterwegs bin, setze ich ihn zwischendurch kaum noch ab, weil ich vergessen habe, dass ich ihn aufhabe. Wenn er unterwegs mal fehlt (oder in der Tasche steckt), zum Beispiel während ich mit den Kinder auf die Eisdiele zusteuere, spüre ich den Stoff schon Meter vorher auf meiner Nase, was mich dararn erinnert, dass ich ihn aufsetzen sollte.

Coronatagebuch Tag #76

Abends Krimis, Agententhriller und sowas gucken.

Solche, bei denen man jede Sekunde mitfiebert.

Oder dystopische Geschichten lesen, bei denen jeder Satz ein bedeutungsschwerer Fingerzeig auf unsere Gesellschaft ist.

Oder historische Filme gucken. Dokus oder Spielfilme darüber, wie es damals war.

Kann ich nicht mehr, seit ich wegen eines Virus die meiste Zeit zu Hause bin, sich der Kopf vor lauter Gleichzeitigkeiten dreht und Gegenwart und Zukunft miteinander verschwimmen, bei völliger Abwesenheit der Vergangenheit.

Auch Schnulziges oder Lustiges will in meinem Kopf nicht ankommen. Der Kopf will: Echtes, Wahres, Unumstößliches. Gewissheit. Pathos. Die Tage rückwärts zählen bis zum ersten Urlaubstag, zum letzten Arbeitstag vor dem ersten Urlaubstag, bis zur nächsten großen Geburtstagsfeier. Will zählen bis zu dem Tag, an dem die Freunde und Verwandten wieder zum Übernachten anreisen, mit Schlafsäcken und Neuigkeiten bis zum Morgengrauen im Gepäck.

Mein Kopf erwartet, dass die Regierungen dieser Welt sukzessive einen Termin ausrufen. Ein Datum, zu dem es heißt: jetzt ist die Verordnung vorbei. Es besteht keine Gefahr mehr. Ein Tag, den man im Kalender eintragen kann. An dem man, wenn er dann endlich da ist, ein großes Fest draußen feiert. An dem sich Wildfremde in die Arme fallen. Ein Datum, zu dem man seine Masken zuhauf auf dem Scheiterhaufen verbrennt. An dem man ein riesengroßes Picknick miteinander teilt. Zusammen ins Wasser springt und schwimmt.

Aber so einen Tag wird es nicht geben. Auch nach dem 29. Juni nicht (das Datum, das die Politiker seit heute als vorläufiges Ende der Kontaktbeschränkungen führen).

Dokus über die Kaputtheit der Erde gehen ganz gut bei mir.

Das fühlt sich echt an. Wenn Deutschland so weitermacht wie aktuell, sind wir in 100 Jahren bei 3 Grad Erderwärmung angekommen, sagte die Tage ein Experte im ZDF. Das fühlt sich nachvollziehbar und echt an.

Die Luftfahrt, die Automobilbranche und die Kohleenergie werden in Deutschland aktuell mit Milliarden und weiteren Zugeständnissen davor bewahrt, wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten.

Warum?

Ich muss beim Busfahren nur aus Fenster gucken: Etwa jede zehnte Baum am Straßenrand trägt teilweise keine Blätter mehr oder sieht irgendwie zerrupft aus. Entweder er ist spärlich belaubt oder an einigen Stellen ganz kahl. Manche Bäume lassen die Äste hängen, als seien sie ihnen zu schwer. Manche Blätter sind schon welk.

Ach was, ich muss nicht mal Bus fahren.

Vor meinem Fenster steht der ärmste Baum der Welt. Die Blätter sind noch so licht wie bei ihrem Entfalten Anfang April. Jetzt verwelken sie im hellgrünen Zustand. Nächstes Jahr wird der Baum ohne Blätter dastehen. Er wird gefällt werden. Vielleicht sogar schon im Herbst. Ich sehe ihn jeden Tag. Stundenlang. Er klagt mich an. Ich denke daran, dass ich ihn kaputtgemacht habe. Dass ich ihn mit meinen Gewohnheiten und Annehmlichkeiten wie Heizen, Duschen, Autofahren in aller Sorglosigkeit getötet habe.

Das Schlimmste ist, dass er nichts sagt.

Coronatagebuch Tag #74

Heute kam der Stundenplan der Tochter.

Es gibt ab dem 15. Juni eine Woche lang jeden Tag drei Schulstunden. Dann eine Woche lang Homeschooling. Dann wieder eine Woche drei Stunden in der Schule und so weiter.

Warum man da nicht gleich durchgängig zu Hause weiterlernen kann, frage ich mich.

Warum man da nicht die Schüler einfach in ihrem Homeschooling belässt. (Kinder, die über die technischen Hilfsmittel schwer erreichbar sind, haben sowieo schon jetzt Präsenzpflicht in der Schule – also zumindest unsere Schule bietet das an.)

Warum man die Schule nicht einfach zulässt, bis sie wieder mit allem rundherum öffnet, was Schule ausmacht: die Pausen. Das Mensaessen. Das Singen bzw. der Sport. Lehrer und Schüler jeden Alters. Computerspiele in der freien Zeit. Die Theater-AG. Die sorglos getroffenen Verabredungen der Kinder.

Die Kita hat anscheinend die Notbetreuung ausgeweitet.

Die beiden Kindergartenkinder haben aber noch keine Betreuung, weil ich erstmal eine Menge Paragrafen dazu durchlesen muss. Hier ein Auszug:

„c. eine präsenzpflichtige berufliche Tätigkeit außerhalb der
Wohnung wahrnehmen und dabei unabkömmlich sowie durch ihre berufliche
Tätigkeit an der Betreuung gehindert sind

d. Den Erziehungsberechtigten gleichgestellt sind
Alleinerziehende, die die Voraussetzungen nach b. und c. erfüllen

e. Alleinerziehenden gleichgestellt sind Erziehungsberechtigte
dann, wenn die oder der weitere Erziehungsberechtigte aus
schwerwiegenden Gründen an der Betreuung gehindert ist. Über die
Zulassung entscheidet die Gemeinde (…)“

Anhand dieses Schriftstücks müssen wir entscheiden, ob wir unter die eine oder andere Gruppe von Eltern fallen. Dann müssen wir unter fünf verschiedenen Antragsbögen wählen und diese selbst und teilweise auch vom Arbeitgeber ausfüllen lassen.

Mein Mann hat seinen Stundenplan noch nicht.

Ich habe diese Woche ein Vorstellungsgespräch und im Juni wieder erste Termine mit Präsenzpflicht. Also alles schön übersichtlich weiterhin. Da ist es doch seltsam, dass „wenig Termine haben“ genauso stressig ist wie „viele Termine haben“.

Coronatagebuch Tag #70-0

Tag #700

An Christi Himmelfahrt machten wir, was alle machten. Wir hatten uns drei Wochen vorher einen Tisch in einem Café reserviert. Da wir zu fünft waren, musste man für uns immer zwei Tische zusammenschieben und drei Plätze aus dem Kontingent streichen. Das war nicht so einfach zu kriegen. Aber diesmal hatten wir Glück.

Am liebsten gingen wir in den Biergarten mit den Kastanienbäumen, aber dieses Jahr war er geschlossen. Die Bäume waren völlig vertrocknet und warfen ihre Äste ab, was für die Kundschaft gefährlicher war als das Coronavirus. Die Besitzer hatten zu lange gewartet, sie hätten die Bäume im Februar absägen müssen. Aber da waren sie noch im Lockdown gewesen und nicht sicher, ob sie überhaupt wieder öffnen konnten. Und jetzt hatten sie zwar geöffnet, waren aber zu.

Früher war Christi Himmelfahrt ein Tag gewesen, an dem sich Freunde trafen und zusammen einen über den Durst tranken (nach Geschlecht getrennt, wegen eines Übersetzungfehlers des Feiertags bei der Übertragung ins Deutsche). Heute machte das niemand mehr. In einem Freundes-Cluster durften nur vier Nicht-Verwandte sein, von denen maximal eine Person alle sechs Monate durch eine andere ersetzt werden durfte. Schwierig, sich unter solchen Umständen zu treffen.

Deswegen war Christi Himmelfahrt seit einigen Jahren einfach ein Sommertag, den die Familie zusammen draußen verbrachte. Spielplätze, Eisdielen, Schwimmbäder, Kinos, Vergnügungsschifffahrt und andere Freizeiteinrichtungen hatten immer wieder für Monate geschlossen, öffneten dann der Reihe nach wieder, um anschließend unabhängig voneinander wegen Vorfällen wieder in Quarantäne eingestuft zu werden. Das hatte nicht wenigen dieser Einrichtungen die Existenz gekostet. Das meiste, was es noch gab, war in kommunaler Hand. Die Auflagen waren hier immer dieselben: Gesichtsmaskenpflicht, 1,5 Meter Abstand, desinfizieren vor Betreten, desinfizieren beim Verlassen, keiner länger als 45 Minuten, und so weiter. Öffentliche Toiletten gab es nirgends, außer die von Sanifair. Eine einmalige Benutzung kostete 5 Euro, was auf den Besuch einer Einrichtung obendraufzulegen war. Ein längerer Restaurantbesuch mit fünf Personen konnte also teuer werden.

Trotzdem wollten wir etwas Einmaliges und nahmen daher den Termin im Café auf uns – machten die Online-Buchung mit Angabe von Namen, Adresse, Geburtsdatum, zahlten auf Vorkasse und erhielten den QR-Code, suchten die passenden Masken heraus und wuschen sie rechtzeitig, gingen kurz vorher alle bei uns zu Hause auf die Toilette und waren auf die Minute pünktlich. Unsere Kleine war mittlerweile sechs Jahre alt und stolz darauf, nun auch endlich eine Maske tragen dürfen. Kurz vor dem Losgehen hatte sie noch geweint, weil ihre geliebte Maske mit den Pferden in der Wäsche war. Aber eine Maske mit Blümchenmuster tat es auch.

Wir saßen am liebsten draußen. Bei einigen Cafés, die die Fenster immer offen haben konnten und nicht zu klein waren, durfte man auch drinnen sitzen, aber uns Älteren war das zu steril. Wir kannten noch die verwinkelten, gemütlichen Spelunken von früher. Da gab es Kissen, Ecken, manchmal Spielzeug für die Kinder oder lebendige Katzen. Man durfte am Tresen sitzen und mit dem Barkeeper sprechen. Man konnte sich auch zu Fremden an den Tisch setzen und diese eventuell sogar kennenlernen. Heute war sowas nur noch in Filmen zu sehen.

Coronatagebuch Tag #66 – Wochenende in Bildern

Unser Wochenende in Bildern #WiB


Draußen ist das neue drinnen.
Und so ist dieses Wochenende dem Waldspaziergang (1), dem neuen Gartengottesdienst (2), der Streetart (3) und dem Gärtnern (4) gewidmet.
Wir kennen jetzt Pflanzen, die ~vielleicht~ die Urgroßeltern der Kinder noch kannten. Wir pflücken und essen alles vom Waldboden, was uns von App bzw. Internet als essbar bescheinigt wird. Wir haben Tomaten und Kartoffeln im Beet. Jedes Stück Holz, das wir aufsammeln und tragen können, wird im Garten verfeuert. Wir tunken Stockbrot, das wir über dem Feuer geröstet haben, in Wildkräutersoße. Wenn dabei eine der seltenen Passagiermaschinen am Himmel einen Streifen zieht, heben wir alle den Kopf und sehen ihr lange nach. Habe am Samstag zum ersten Mal einen Transporthubschrauber mit zwei Rotoren gesehen. Ich stelle mir vor, die könnten bald immer vorbeifliegen. Es werden jeden Tag mehr. Sie transportieren Schutzkleidung. Klinikgerät. Biohazard. Waffen. Koffer voll Geld.
In Wirklichkeit feiern wir, dass man in vielen Jobs nicht dauernd die 120 Prozent geben muss. Und dass im Videotelefonat endlich Kinder im Hintergrund zu sehen sein dürfen. Wurde auch Zeit.

Videokonferenz 2017:


Videokonferenz 2020:

Mehr Wochenenden in Bildern gibt es bei Große Köpfe in Berlin.

 

Coronatagebuch Tag #64

Bisher drehten sich die Kinder um Garten, Wald, Spielzimmer, Badewanne.

Mittlerweile drehen sich die Kinder um Garten, Wald, Spielzimmer, Badewanne, Schuhgeschäft, Drogeriewarengeschäft, Bäckerladen, Bushaltestelle, Stadtbücherei, Museum, Fußgängerzone, Spielplatz, öffentliche Toiletten.

Und so sehr sie sich darüber freuen, so wenig bekommt ihnen dieser neue Radius.

Busse müssen immer pünktlich erreicht werden. Um das zu schaffen, müssen alle hektisch losrennen bzw. herumgescheucht werden. Garantie für schlechte Laune. Spielplätze bergen nicht wenig Enttäuschung: weil man wo noch nicht hochkommt, weil ein anderes Kind etwas wegnimmt, oder weil Mama schon gehen möchte, und führen daher zu Bockigkeit und Trotz. Stadtbücherei und Museum haben wir bereits hinter uns, wurden aber von den Eltern als zu anstrengend befunden.

Beim Bäcker waren wir in den letzten Wochen höchstens einmal alle paar Tage, um die nächste Familienration Brot abzuholen. Und ohne die Kinder mitzunehmen. Jetzt kommen wir wieder ständig an Bäckern vorbei: auf dem Weg zum Spielplatz und zum Bus und von der Stadtbücherei, immer hat jemand Hunger und überall gibt es Bäcker. Und immer darf man das, was da am Leckersten aussieht, nicht haben.

Und auf öffentliche Toiletten muss man ja auch nicht, weil man muss, sondern weil sie da sind.

Einmal gab es sogar Tränen: Weil im Schuhgeschäft eine Frau, die mit Mundschutz unheimlich aussah, sagte, dass man nicht mehr auf die Rutsche darf.

Und am Abend sagte die Vierjährige: „Ich vermisse den Kindergarten und die Kinder!“ Wahrscheinlich nur, weil sich der Alltag schon wieder so anfühlt wie die Tage, an denen noch Kita stattfand.

Heute ist Freitag. Am Montag soll die Betreuung eigentlich wieder starten. Aber es gibt kein Konzept dafür, und so startet erstmal nichts und alles läuft weiter wie gehabt.

Coronatagebuch Tag #62

Der Kreis weitet sich.

Wir können bald wieder in Cafés und Sushibars abhängen. Wir können wieder rudern auf dem Neckar und jeden anderen Vereinssport betreiben. Solange er draußen stattfindet, man sich zu Hause umkleidet und es kein Mannschaftssport ist.

Urlaub buchen geht auch bald wieder, sobald es im jeweiligen Bundesland erlaubt ist, und sofern wir dort unter uns bleiben. Heißt in etwa, wir dürfen in Hotels keine Räume wie Sauna oder Sportplatz gemeinsam mit anderen nutzen. Im Lauf des Mai will jedes Bundesland wieder Urlaub zulassen. Also schon in den Pfingstferien können dann alle Deutschen (sofern sie Urlaub haben) wieder irgendwohin, wo sie sonst nicht sind. Wir können sogar Familien besuchen, die wir lange nicht mehr gesehen haben. Solange sich nicht drei Familien gleichzeitig an einem Ort treffen, geht das.

Ich träume immernoch von einer Fahrt mit dem ICE nach Berlin/Brandenburg. Weil mein Sohn, der im September eingeschult wird, nochmal was erleben will. ICE und Berlin sind seine Sehnsuchtsorte.

Dennoch zögere ich. Im ICE ist Mundschutz zu tragen und Abstand zu anderen Familien zu halten. Eine Stunde oder so ist das ja kein Problem. Aber den halben Tag? Mit  Getränken, Krümeln, Bewegungsdrang und Müdigkeitsanfällen?

Und wenn wir dann Berlin ablaufen: Wie lange müssen wir in den gerade wiedereröffneten Museen anstehen, die mangels Alternativen überrannt sein werden? Wie lange halte ich es an den Berlin places to be aus, wie Einkaufscenter, Sehenswürdigkeiten, U-Bahn, Cafés, Spielplätze… wenn man sich ständig ängstigt, jemand anderem zu nahe gekommen zu sein? Wenn alle Schlangen überall zehnmal so lang sind? Wenn man für jede Location im Vorhinein buchen muss? Wenn man sich jedes Mal vor dem Eintritt in irgendwelche vier Wände vergewissern muss, ob hier Mundschutzpflicht ist, und wo der verf+++ Mundschutz schon wieder ist?

Unsere Tochter verfolgt auch schon einen anderen Plan: Einfach mit Zelt durch den Odenwald wandern. Könnte bedeutend einfacher sein.

Man kann ja auch tageweise wandern. Immer wieder von zu Hause aus losgehen und gucken, wo man dann landet. Das machen ziemlich viele Leute mittlerweile. Das ist sowas wie der neue Volkssport. Kleinkinder nehmen Schaufeln und Eimer mit in den Wald, um am Bachufer zu graben. Sonnenanbeter pilgern zu den Lichtungen. Im Wald kann man viele andere Leute treffen und sich unterhalten, und weil der Wald so groß ist, kommt man sich da sowieso nicht so nah. Man kann mitgebrachte Brote essen und die Aussicht oder die frische Luft genießen. Man denkt nicht so viel daran, wie scheußlich alles ist, weil keiner einen Mundschutz auf hat. Man kann jederzeit weiterlaufen. Oder bleiben, bis die Sonne untergeht.

Coronatagebuch Tag #61

Spielplätze in Zeiten von Corona

Der Junge mit der blauen Mütze sah den Spielplatz schon von weitem und rannte drauflos. Der Platz war nicht zu übersehen. Und auch nicht zu überhören. Laute Stimmen, Rufen, Lachen. Ein Pulk aus großen und kleinen Menschen, Fahrrädern, Dreirädern, Taschen und Eis am Stil. Der Junge stoppte abrupt, wandte sich zu seiner Mutter um und sagte ärgerlich: „So nah darf man gar nicht zusammenstehen!“ Auf den Spielplatz wollte er nicht mehr.

Zugfahren in Zeiten von Corona

Es sollte meine erste Zugfahrt sein und ich beschloss, dass ich einigermaßen annehmbar aussehen wollte. Daher probierte ich verschiedene Schals aus. Die Zeit wurde knapp, und ich entschied mich kurzerhand für einen dünnen schwarzen Schal mit Rosen darauf. Ein bisschen Pathos auf der ersten Zugfahrt musste sein, fand ich. Am Bahnsteig probierte ich verschiedene Knoten und Faltmöglichkeiten aus. Der Blick in meine Handykamera verriet, wie ich für jedermann aussah. Endlich fand ich mich unauffällig und bescheiden genug gekleidet und ließ das jetzt so. Im Zug, der früher um diese Uhrzeit voll gewesen wäre (was unternimmt die Regierung eigentlich zur Rettung der Bahn?) begegnete ich keinem Menschen, dem ich meine kunstvolle Gesichtsbekleidung hätte vorführen können. Darüber war ich, gelinde gesagt, enttäuscht. Man trägt den Schutz doch für andere. Wenn keiner da ist, macht das auch keinen Sinn.

Literatur in Zeiten von Corona

Die Literaturgruppe traf sich wie immer dienstagabends im Foyer des Theaters. Neu war, dass man die Sitzung als private Veranstaltung für maximal 5 Personen deklarieren musste, um sie offiziell abhalten zu dürfen. Neu war, dass die Theaterleute parallel nicht probten, weil sie Anfang Mai bereits in der Sommerpause waren. Neu war auch, dass die einander bekannten Gesichter sich seltsam weit voneinander entfernt platzieren und sich gegenseitig nicht zu umarmen trauten. Weitere Gesichter versuchte man über WLAN hinzuzuschalten, aber dann ließ man es wieder. Die vorgelesenen Texte kannten alle ein Thema: Corona. Als man sich verabschiedete, blieb das Bedürfnis zurück, wieder öfter aus dem Haus zu gehen.