Coronatagebuch Tag #58

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Waldspaziergang mitten in der Woche. Egal wie lange.

Montag ist Kopiertag. Mittwoch ist Klaviertag. Freitag ist Abliefertag. Samstag ist Aufräumtag und Markttag. Sonntag ist Gottesdiensttag und meistens auch Ausflugtag.

Von Montag bis Freitag gilt von 9 bis 15 Uhr Lernzeit, mit egal wie vielen Pausen zwischendurch. Danach spielen die Kinder draußen mit den Nachbarskindern bis sie zum Abendessen wieder in der Küche stehen.

Die Woche hat eine Minimalstruktur.

Die Struktur ist genau richtig, um die Motivation zum Aufstehen und Lernen hochzuhalten. Vor allem die Zehnjährige hat da ihren vom Unterricht vorgegebenen Takt. Wir anderen platzieren unsere Tasks zwischendurch: Mal steht eine größere Einkaufstour an, mal ist Hausputz angesagt, mal gibt es Lohnarbeit für einen ganzen Vor- oder Nachmittag, mal schnappen wir uns die kleinen Geschwister und gehen für ein paar Stunden zusammen in den Wald.

Die Tage sind lang.

Aber auch die Nächte. Von 21 bis 7 Uhr herrscht Ruhe im Haus. Seit die Minimalstruktur vorherrscht, sind die Kinder abends schläfrig und entspannt und schlafen auch fast immer durch. Das sind 10 Stunden ohne Kinder, von denen ich einige dazu nutze, um auch mal nützliche Dinge gar nichts zu tun, ein wenig aufzuräumen oder mich im Internet umzusehen.

Heute war ein Samstag.

Das heißt Aufräumtag. Am Ende war alles so ordentlich, dass es mir leid tat, jetzt mit Kochen anzufangen. Daher holte ich Bargeld und Essen vom Döner.

Nach dem Mittagessen war es schon fast 15 Uhr. Wir brachen auf, unsere besten Freunde wiederzusehen. Zum ersten Mal wollten wir alle den Nachmittag zusammen verbringen. Drinnen und ohne Sicherheitsabstand. Das war kurz komisch, aber nach fünf Minuten nicht mehr. Die Kinder, vor allem die Jüngsten, waren durch das Wiedersehen merklich entspannter als sonst. Wobei sie ja auch sonst entspannt sind. Aber sie kehrten mühelos ihre besseren Seiten hervor, hatten Freude am Spielen, Freude am Essen und mussten viel weniger ermahnt werden.

In Addition unternahmen wir einen Spaziergang über die Felder. Über uns die Lerchen, am Horizont die Saftfabrik. In Sichtweite der Kinder Misthaufen und große Hunde, die über die Felder jagten. Sogar ein gemeinsames Abendessen trauten wir uns im Anschluss zusammen einzunehmen.

Die letzten Wochen

Ein bisschen wehmütig fuhren wir nach Hause. Die Dämmerung kam gegen halb 10. Luft und Boden waren nach dem fast regenfreien Frühjahr so trocken wie im August. Das Gras war versengt. Es gab Risse im Boden, auch unter Bäumen, da wo immer Schatten war.

Die kommende Woche wird die vorerst letzte mit wenig Struktur sein. Danach beginnt wieder der Kindergarten. Unter was für Bedingungen auch immer. Wir haben uns an unseren langsamen Alltag so gewöhnt, dass ich mir kaum vorstellen kann, die Kinder für länger als vier Stunden nicht zu sehen.

Daher fühlte sich diese Abenddämmerung so an wie die letzte Woche im August. Es war dasselbe Gefühl wie in der letzten Ferienwoche, bevor die Schule wieder losgeht. Die Angst davor, dass einem unweigerlich viele Freiheiten wieder genommen werden, die man gerade erst erhalten hat. Und die lächerliche Hoffnung darauf, dass man sich einige der Freiheiten einfach in die kommende, arbeits- und entbehrungsreiche Zeit hinüberretten wird.

Ich will diesen Sommer mein Handy zu Hause lassen

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Ich im Sommer 2001. Foro: Archiv. No filter

Ich will diesen Sommer mein Handy zu Hause lassen und auch keinen Computer nutzen.

Gut, nur im August, okay, nur etwa rund drei Wochen lang, kurz: also während der paar Tage, in denen ich voraussichtlich nicht zu Hause, sondern in der Sommerfrische bei Verwandten weilen werde.

Und wenn ich mich schon so einschränke, kann ich auch gleich noch Fernsehen und Bier auf die Abschussliste setzen. Und jeden Morgen täglich Gymnastik machen und in der Bibel lesen oder ein paar Stunden eine neue Fremdsprache aus einem Buch lernen. Nachmittags auf Kaffee verzichten und stattdessen eine Runde Fahrrad um den See fahren.

Klingt jetzt asketisch?

Nun ja. Meine Urlaube verliefen früher so. Zum Beispiel mein Urlaub in Südwestfrankreich 2001, nach dem Abi. Morgens Gymnastik und Bibel. Frühstück ohne Kaffee. Dann ein Plätzchen suchen, an dem man gut etwas malen oder schreiben kann. Farben und Schreibsachen hatte ich immer in meinem Rucksack, egal wohin es ging. Den Mittag, wenn es zu heiß war, drinnen verbringen, mit einer Musikkassette (ja, so altmodisch war ich da noch, aber ich hab ja heute auch kein Spotify) oder mit einem Roman (den ich von zu Hause mitgebracht oder sogar erst im Urlaub gekauft hatte, dann war der eben komplett auf Französisch, egal. Lernt man ja beim Lesen). Nachmittags konsequent schwimmen gehen oder Fahrrad fahren, am besten beides. Nie ohne die Kamera aus dem Haus. Abends Wein. Dann ins Bett.

Das Ganze funktioniert nicht erst seit gestern nicht mehr, aber es muss so etwa sechs Jahre her sein, dass meine Fähigkeit, mich in meiner Freizeit sinnvoll zu beschäftigen, langsam verlorengegangen ist.

Vor 2009, also vor den Kindern, hatte ich immer eine halbe Stunde hier, eine halbe Stunde da zur Verfügung, um zu einem Buch, einem Stift zu greifen. Lesend und schreibend Neues zu entdecken, eins mit mir zu sein. Ach was, viel mehr als halbe Stunden waren das! Selbst auf einem lauten und vollen Festival konnte ich mich mal für eine Stunde am Stück im Zelt verkriechen und den Tag Revue passieren lassen, reflektieren, was passiert war, wie ich dazu stehe und was ich am morgigen Tag gerne machen möchte.

Jetzt muss ich in meiner Freizeit (ja, nicht nur dann, aber dann auch) das Geschirr von fünf Leuten sauber kriegen, darüber nachdenken, was diese in drei Stunden wieder essen wollen könnten, ich muss gleichzeitig über drei verschiedene Kindergarderoben informiert sein, zum Beispiel: Wenn wir jetzt zum Strand gehen, sind dann nicht nur die drei Kinder da, sondern auch die drei Kinder-Sonnenhüte und die drei Kinder-Badeanzüge und die drei Kinder-Badehandtücher? Haben alle ihre Zahnbürsten mit und putzen sie die Zähne auch? Hat jeder etwas altersgerechtes zum Vor- oder Selberlesen dabei? Reicht der Windelvorrat noch? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Tja nun, und in der dann noch verbleibenden freien Zeit muss ich schlafen, schlafen, schlafen. Oder arbeiten.

Meine geliebten Urlaubs-Beschäftigungen wiederzubeleben, ist mit drei Kindern natürlich nicht so einfach. Aber vielleicht geht es ja, wenn ich im Urlaub auf meine Inspirations- und Informationsquelle Internet verzichte. Ich will mich nicht von Neuigkeiten im Pixelformat inspirieren lassen, die nur ein paar Sekunden oder Minuten Bedeutung für mich haben. Sondern von der Natur und von den Menschen um mich herum.

Da ich jetzt aber fast Angst bekomme, dass ich dann im Urlaub nichts zu tun haben werde, so ganz ohne Internet, bestelle ich jetzt ein paar Bücher, die ich in meinen Koffer packen will. Außerdem sehe ich mal nach, wie komplett meine Aquarellfarben noch sind und kaufe mir mindestens noch ein neues Zeichenbuch.

Habt ihr noch Freizeitbeschäftigungen, die eure eigenen sind?
Wer lässt diesen Sommer auch sein Handy zu Hause?
Und wer geht einfach ohne Handtücher und Zahnbürsten in den Urlaub?