Coronatagebuch Tag #98

Europa ist seit dem 15. Juni wieder offen. Also fast. Außer nach Skandinavien, Großbritannien und Spanien kann man innereuropäisch reisen wohin man möchte.

Damit Sie sicher und gesund an Ihr Ziel und wieder nach Hause kommen, müssen Sie nur wenige Regeln beachten.

Sichern Sie sich rechtzeitig online ein kontingentiertes Flugticket sowie ein Badeticket für 3×3 Stunden europäischer Strand Ihrer Wahl, damit Sie Ihren Urlaub entspannt genießen können.

Reiserücktrittsversicherungen sind gerade sehr beliebt, lassen Sie sich hier von den hohen Preisen nicht abschrecken.

Im Hotel bzw. im Reisegebiet Ihrer Wahl können plötzlich Fälle gehäuft auftreten. Dafür können Sie nichts, denn Sie haben alle Regelungen befolgt. Leider hält sich nicht jeder daran. Wie Sie wissen, nimmt man es im Ausland mit Regeln häufig nicht so genau. Aber wie gesagt, nicht Ihre Schuld. Sie sind gesund und sicher unterwegs.

Installieren Sie die Corona-Warn-App des Bundesgesundheitsministeriums. So haben Sie Ihr Warnsystem immer bequem in der Tasche. Die App ist mit den meisten Warn-Apps der EU kompatibel. Somit werden Sie vor einer Infektion gewarnt, auch wenn Ihr Nachbar am Buffet aus Griechenland, Luxemburg oder Schweden stammt. Aber nicht, wenn er Franzose ist. Und vorausgesetzt, er hat wie Sie Bluetooth angestellt, sein Handy dabei und auch eine Warn-App installiert. Falls es in seinem Land eine solche App gibt.

Wenn Sie über eine Infektion in Ihrer Nähe gewarnt werden, bewahren Sie Ruhe. Es hat sich nicht bewährt, aufzuspringen und laut „Corona! Corona!“ zu rufen.

Sollten Sie selbst infiziert sein oder die Infektion bereits überstanden haben, ist keine Handlung geboten. Das Ansteckungspotenzial ist in dem Fall sehr gering.

Sollte Ihre Infektion noch ausstehen, atmen Sie einmal tief durch. Denken Sie daran, dass die Warnung gar nicht zwingend durch Ihren Nachbarn am Buffet, der Ihnen gerade so unangenehm nahekam, ausgelöst worden sein muss. Die Warnung kann genauso gut von der Person drei Meter weiter kommen. Oder von einer Putzkraft, die im Stockwerk über Ihnen gerade den Flur saugt. Die ihren Job verlieren würde, wenn sie sich krankmelden würde.

Atmen Sie also einmal tief durch und denken Sie am besten an nichts.

Denken Sie dabei aber bitte immer an das lokale Tourismusgewerbe Ihres Urlaubsortes. Das Gewerbe hat lange genug unverschuldet gelitten. Kommen Sie also gerne in unser schönes ***-Tal, oder warum soll es nicht mal ein Ausflug in das sehenswerte Städtchen *** sein? Hier werden Sie mit offenen Armen empfangen, sorry, mein Fehler, hier will man nichts von Ihnen, außer Ihr Geld. Kaufen Sie viel Schnickschnack, und nicht vergessen, zahlen Sie am besten auch die handgeschnitzte Figur des Straßenverkäufers mit Ihrer VISA. Bleiben Sie sicher und gesund – auch im Urlaub!

Denken Sie bitte auch an die Luftfahrtindustrie. Auch die Luftfahrt hat unter der Situation gelitten, mehr noch als Sie. Daher raten wir Ihnen: nehmen Sie 2020 unbedingt ein Flugzeug zu der Destination Ihrer Wahl und nicht das Auto oder die Bahn. Am besten steigen Sie direkt zu Hause in Ihren Flieger und landen direkt vor dem Hotel. Oder wollen Sie sich etwa die (Durch-)Reisebedingungen, Mundschutz-oder-nicht-Maßnahmen, Abstandsregelungen, Nahverkehrs-Auflagen und Fahrplanänderungen jeden einzelnen Landes und jeder einzelnen Provinz geben, das/die sie auf Ihrer Reise durchqueren?

Nach Ihrer Rückkehr kann das Bundesgesundheitsministerium in Absprache mit der WHO Ihr Reisegebiet auch rückwirkend zu einem Risikogebiet erklären und Sie müssen ggf. in Quarantäne. Dies ist aber nur ein kleiner Einschnitt, denn – hey, Sie haben frei und selbstbestimmt Urlaub gemacht! Das ist es, was zählt. Lassen Sie sich nichts einreden.

Ich will diesen Sommer mein Handy zu Hause lassen

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Ich im Sommer 2001. Foro: Archiv. No filter

Ich will diesen Sommer mein Handy zu Hause lassen und auch keinen Computer nutzen.

Gut, nur im August, okay, nur etwa rund drei Wochen lang, kurz: also während der paar Tage, in denen ich voraussichtlich nicht zu Hause, sondern in der Sommerfrische bei Verwandten weilen werde.

Und wenn ich mich schon so einschränke, kann ich auch gleich noch Fernsehen und Bier auf die Abschussliste setzen. Und jeden Morgen täglich Gymnastik machen und in der Bibel lesen oder ein paar Stunden eine neue Fremdsprache aus einem Buch lernen. Nachmittags auf Kaffee verzichten und stattdessen eine Runde Fahrrad um den See fahren.

Klingt jetzt asketisch?

Nun ja. Meine Urlaube verliefen früher so. Zum Beispiel mein Urlaub in Südwestfrankreich 2001, nach dem Abi. Morgens Gymnastik und Bibel. Frühstück ohne Kaffee. Dann ein Plätzchen suchen, an dem man gut etwas malen oder schreiben kann. Farben und Schreibsachen hatte ich immer in meinem Rucksack, egal wohin es ging. Den Mittag, wenn es zu heiß war, drinnen verbringen, mit einer Musikkassette (ja, so altmodisch war ich da noch, aber ich hab ja heute auch kein Spotify) oder mit einem Roman (den ich von zu Hause mitgebracht oder sogar erst im Urlaub gekauft hatte, dann war der eben komplett auf Französisch, egal. Lernt man ja beim Lesen). Nachmittags konsequent schwimmen gehen oder Fahrrad fahren, am besten beides. Nie ohne die Kamera aus dem Haus. Abends Wein. Dann ins Bett.

Das Ganze funktioniert nicht erst seit gestern nicht mehr, aber es muss so etwa sechs Jahre her sein, dass meine Fähigkeit, mich in meiner Freizeit sinnvoll zu beschäftigen, langsam verlorengegangen ist.

Vor 2009, also vor den Kindern, hatte ich immer eine halbe Stunde hier, eine halbe Stunde da zur Verfügung, um zu einem Buch, einem Stift zu greifen. Lesend und schreibend Neues zu entdecken, eins mit mir zu sein. Ach was, viel mehr als halbe Stunden waren das! Selbst auf einem lauten und vollen Festival konnte ich mich mal für eine Stunde am Stück im Zelt verkriechen und den Tag Revue passieren lassen, reflektieren, was passiert war, wie ich dazu stehe und was ich am morgigen Tag gerne machen möchte.

Jetzt muss ich in meiner Freizeit (ja, nicht nur dann, aber dann auch) das Geschirr von fünf Leuten sauber kriegen, darüber nachdenken, was diese in drei Stunden wieder essen wollen könnten, ich muss gleichzeitig über drei verschiedene Kindergarderoben informiert sein, zum Beispiel: Wenn wir jetzt zum Strand gehen, sind dann nicht nur die drei Kinder da, sondern auch die drei Kinder-Sonnenhüte und die drei Kinder-Badeanzüge und die drei Kinder-Badehandtücher? Haben alle ihre Zahnbürsten mit und putzen sie die Zähne auch? Hat jeder etwas altersgerechtes zum Vor- oder Selberlesen dabei? Reicht der Windelvorrat noch? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Tja nun, und in der dann noch verbleibenden freien Zeit muss ich schlafen, schlafen, schlafen. Oder arbeiten.

Meine geliebten Urlaubs-Beschäftigungen wiederzubeleben, ist mit drei Kindern natürlich nicht so einfach. Aber vielleicht geht es ja, wenn ich im Urlaub auf meine Inspirations- und Informationsquelle Internet verzichte. Ich will mich nicht von Neuigkeiten im Pixelformat inspirieren lassen, die nur ein paar Sekunden oder Minuten Bedeutung für mich haben. Sondern von der Natur und von den Menschen um mich herum.

Da ich jetzt aber fast Angst bekomme, dass ich dann im Urlaub nichts zu tun haben werde, so ganz ohne Internet, bestelle ich jetzt ein paar Bücher, die ich in meinen Koffer packen will. Außerdem sehe ich mal nach, wie komplett meine Aquarellfarben noch sind und kaufe mir mindestens noch ein neues Zeichenbuch.

Habt ihr noch Freizeitbeschäftigungen, die eure eigenen sind?
Wer lässt diesen Sommer auch sein Handy zu Hause?
Und wer geht einfach ohne Handtücher und Zahnbürsten in den Urlaub?