Coronatagebuch Tag #60

Es ist eine Lüge, dass man zu mehr kommt, wenn man mehr Zeit hat.

Zum Beispiel habe ich trotz eines wirklich immensen Zeitfensters auch in diesem Jahr noch nicht mit der Steuererklärung begonnen.

Man schafft es auch nicht, mehr Sport zu treiben. Ich habe es gar nicht erst versucht, weil ich weiß, dass es nicht geklappt hätte. Wer hingegen vorher schon Sport gemacht hat, macht jetzt genausoviel Sport, nur anders. Joggen anstatt ins Fitnesscenter z.B.

Man schafft auch die 1001 verhassten Aufgaben nicht in dieser gedehnten Zeit unterzubringen. Wie förmliche Briefe schreiben, ein Brett anschrauben, eine Wand streichen, endlich ein Fotoalbum aus allen irgendwo abgelegten Bilddateien zu machen. Einmal die Woche oder wenigstens einmal im Monat was Leckeres zu backen, funktioniert ebensowenig. (Auch hier gilt: wer vorher schon regelmäßig gebacken hat, tut das natürlich weiterhin).

Nachdem ich die Situation nun 60 Tage lang eingehend studiert habe, bin ich zu der gesicherten Erkenntnis gekommen: wenn mehr Zeit vorhanden ist, werden auch einzelne Aufgaben größer.

Am meisten Zeit haben Kleinkinder. Sie haben vom Aufstehen bis zum Schlafengehen einfach immer Zeit. Für alles. Müssen aber fast nie was.

Für Kleinkinder sind deshalb auch einzelne Aufgaben viel größer als für solche Leute, die weniger Zeit dafür haben. Sollen sie z.B. den Tisch decken oder eine kleine Pfütze Wasser aufwischen, winden sie sich unangenehm berührt ob der endlos langen Zeit, die das dauert. Nach einer Sekunde ist für sie gefühlt eine Stunde vergangen und sie geben auf, weil sie ja doch nicht fertig werden, und das obwohl sie es wider besseren Wissens sogar versucht haben.

So ist es mit den Kindern und der Zeit. Ich sollte nach der Pandemie ein Buch veröffentlichen mit dem Titel „Kinder und Zeit. Antagonisten im Jahr 2020“. Aber dafür hab ich ja keine… genau.

Coronatagebuch Tag #45

Ich wünsche mir, diese Zeit einfach abkürzen zu können. Indem ich einfach Winterschlaf mache z.B. Nur das geht schlecht, wenn man täglich frühmorgens von zwei knallegutgelaunten Kindern geweckt wird. Und mit diesem strahlenden Sonnenschein geht es schon gleich gar nicht. Sonne bis in den letzten Winkel. Alles muss ausgeleuchtet werden. Nichts darf verborgen bleiben.

Eigentlich möchte ich diese Zeit auskosten. Wann werde ich jemals wieder wochenlang gemütlich bis 8 oder 9 liegenbleiben können? Wann wird es jemals wieder eine Zeit geben, in der das Auto einfach stehenbleibt? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal getankt habe. Logischerweise ist Tanken gerade so billig wie in den letzten 10 Jahren nicht mehr.

Tankfüllungen hamstern? Mit Airbnb-Aktien spekulieren?

Macht ihr nur. Ich habe heute auch eine Menge gemacht. Eine Hütte im Wald gebaut. Kartoffeln ins Beet gesetzt. Eine kleine Radtour unternommen. Essen gekocht. Bücher vorgelesen und versucht selbst zu lesen. Zoom auf einem Tablet eingerichtet.

Wenn diese Zeit zu Ende ist, würde ich gerne mitnehmen:

  • Weniger Kindergarten, mehr Kinderclub bei Nachbars
  • Schule öffnet um 9
  • Rücksicht und gebührender Abstand zwischen Fremden
  • Recht auf Homeoffice
  • Recht auf Homeschooling
  • regelmäßig genügend Zeit für Blumen, Bäche, Äste, Lehmvorräte und Kaulquappen
  • Mehr lokal einkaufen und Ausflüge in die nahe Umgebung, ohne zu befürchten, dabei „Trends“ zu verpassen