Zugfahren mit großen Kindern. Aufzeichnungen einer sehr müden Mutter

Die Woche verspricht schlechtes Wetter. Perfekt um zu arbeiten. Passend dazu liegt genug auf meinem Schreibtisch, was wegtelefoniert, weggeschrieben und wegorganisiert werden will.

Aber die Kinder haben Pfingstferien. Und zum ersten Mal seit neun Monaten wäre ein Urlaub bei den Großeltern legal. Wir müssen also los. Arbeiten kann ich ja noch im Zug. Oder später woanders.

Ich habe Tickets für den ICE gekauft, Laptop, Ladekabel, Handy und Headset eingepackt und den Kindern eingeschärft: „Nehmt alle eure Geräte mit! Mit den Ladegeräten! Und den Kopfhörern!“ Durch die neun trüben Monate bin ich gestählt. Mediengestählt. Gerätebewaffnet. Mir kann keiner was in Sachen Kinderbetreuung. Es muss nur Strom und einen Bildschirm haben.

Im Zug holt die Große (die nicht mehr so aussieht, als dürfe man wegen ihr ein Familienabteil buchen) sofort ihr Smartphone heraus. Lieblings-Apps sind YouTube und Spotify. Sie setzt die Kopfhörer auf und lacht. „Hör dir das mal an!“ Sie reicht die Kopfhörer ihrem Bruder, der mit zahlreichen Zahnlücken zufrieden dasitzt und aus dem Fenster schaut. Er darf drei Sekunden reinhören, bevor die Große die Kopfhörer wieder in ihren Besitz nimmt.

Ihrem Bruder schlage ich vor, dass er mir ein Buch vorliest. Eins, was er gestern im Buchladen bekommen hat. Daher bekommt die Jüngste mein Handy mit Ohrstöpseln. Eine Folge Andersens Märchen von Audible (Werbung).

„Lies weiter“, sagt der Sohn, der nach drei Seiten nicht mehr selbst lesen will. „Gibt’s hier Internet?“ will die Große wissen, die bisher nur downgeloadete Musik gehört hat.

Die Große und ich checken das ICE-WLAN aus, was uns eine ganze Weile beschäftigt.

Die beiden Kleinen wollen jetzt was malen. Natürlich habe ich Papier und Stifte vergessen. Ich schlage mir an den Kopf. Wie dumm von mir. Es gibt doch auch noch andere Ablenkungen als Stromgeräte! Aber überraschenderweise haben sie haben alles selbst eingepackt. Glückliche müde Mutter, die große Kinder hat.

Zwei Kinder malen, das dritte hört Musik. Ich atme auf. Vielleicht mal was bloggen? Aber dazu müsste ich erstmal den Laptop auspacken. Das ist zu auffällig und damit ziehe ich dann wieder die Aufmerksamkeit meiner Kinder auf mich. Die hören dann sofort auf mit dem, was sie gerade machen und wollen in meinen Laptop hineinkriechen, dort im Prinzip wohnen. Ich beantworte also lieber unauffällig ein paar Nachrichten auf meinem Handy.

„Ich habe meinen Anspitzer vergessen!“ heult die Jüngste.

„Nimm doch den von deinem Bruder.“ Das war kurz vor Eskalation.

Ich will einen Kaffee, aber es kommt keiner. Ich blättere also wenig gespannt im Bahn-Magazin. Hinterfrage deren Lösung der gendergerechten Sprache. Klar, Konsequenz muss sein. Aber doch nicht ein Satz mit sechsmal :innen?

Jüngste quengelt. Ich gebe dem Sohn mein Handy (er darf die Märchen weiterhören) und gehe mit ihr durch den Zug. Sie findet alles prima. Auch die Kinderfahrkarte und das Spielzeug, das sie geschenkt bekommt. Für ihren Bruder darf sie ebenfalls ein Geschenk mitnehmen. Damit werden sie sich eine Weile beschäftigen, nehme ich an.

Pustekuchen, sie schauen sich den Plastikkram nicht mal an. Ein mitreisendes Kleinkind macht kurzen Prozess und fegt Spielzeug und Malzeug vom Tisch. „Ich lese dir was vor“, sage ich schnell, damit die Jüngste nicht lauthals protestiert. Wir räumen die Malsachen weg und holen ihr Vorlese-Buch heraus. Es geht um Ferien im vielbesungenen Saltkrokan.

Ich lese den Astrid-Lindgren-Sprech vor, den meine Kinder manchmal mögen, manchmal aber auch überhaupt nicht. Meine Jüngste hört eine Weile zu.

„Darf ich spielen?“ fragt die Große. Ich nicke und in selbiger Sekunde wird ein Lego-Game geöffnet. „Lass deinen Bruder bitte zusehen“, sage ich. „Und stell den Sound bitte gaaaaanz leise.“ Zwei Köpfe beugen sich über das Handy.

Irgendwann bin ich zu müde zum Vorlesen und ich finde, dass die Große auch mal eine Handypause einlegen kann. Sie nimmt sich ein Buch, was von Fledermäusen und Unterwelt handelt. Ich schiele zu meiner Bahnzeitschrift (das mit dem Laptop kann ich sowieso vergessen) und frage die beiden Kleinen:

„Wollt ihr ein neues Spiel spielen? Ich habe euch zu Hause eines downgeloadet!“

Stellt sich heraus, dass das eine Kurzschlusshandlung war. Das Spiel (eine Katze durch lustige Programmier-Bausteine zum Laufen zu bringen plus etliche weitere Features) ist schwer zu durchschauen und von der Grafik her viel zu winzig.

Trotzdem nehmen sie es eine Weile damit auf. Solange versuche ich mich wieder in die Bahn-PR zu vertiefen.

Irgendwann streckt sich die Jüngste aus und schläft ein Weilchen. Wie auf Knopfdruck fallen auch mir die Augen zu, und hätte uns nicht ihr Bruder angestupst, wir hätten unseren Ausstieg verpasst…

Am nächsten Morgen saßen Oma und Jüngste eng aneinandergeschmiegt im Strandkorb und Oma las vor. Die Jüngste wollte „Das hässliche Entlein“ nochmal hören, das sie auf der Zugfahrt mit meinem Handy gehört hatte. Die Oma hatte ein Märchenbuch. Und Kakao. Und Russisch Brot. Die Mama hatte einen Mittagsschlaf. Einen sehr langen. Bis sie nicht mehr müde war. Und als am Abend die Fledermäuse aus ihren Baumhöhlen kamen, erzählten wir uns am Lagerfeuer Geschichten bis es dunkel wurde.

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