Coronatagebuch Tag #6

Es ist hell und warm. So hell, dass man die Augen schließen muss. So warm, dass einem schwindelig wird.

Wir haben den ganzen Tag die Fenster gekippt und die Balkontür offen. Das Haus lässt den Wintergeruch raus. Seit wir ein eigenes Haus haben, lieben wir jeden Moment, an dem wir es nicht unter dem Vorwand nichtiger Termine verlassen müssen. Zahnarzt? Schwimmkurs? Kirche? Die Kinder wollen andere Kinder treffen? Nichts davon geht mehr. Die Woche besteht aus lauter Samstagvormittagen. Eigentlich die schönste Zeit der Woche.

Kein Homeoffice

Gleich nach dem Frühstück kümmert sich mein Mann weiter um Haus und Gartem. Ein Strich durch die Rechnung macht uns der städtische Recyclinghof, der seit heute geschlossen hat. Wohin jetzt mit dem Hänger voller Gartengrünzeug. Wir wissen es nicht.

Ich bereite am Schreibtisch ein Interview vor. Gestern habe ich meiner Interviewpartnerin, einer Professorin, gemailt. Ich schlug vor, unser Treffen ans Telefon oder ins Internet zu verlegen. Muss nicht, antwortete die Professorin, der Betrieb läuft weiter wie gehabt.

Also bereite ich ein ganz normales face-to-face Interview vor. Ich habe ein mulmiges Gefühl dabei. Gestern erst hatte mich eine Agentin angerufen und gesagt:

„Hier in Hamburg ist alles dicht! Die Medienhäuser lassen keinen mehr rein. Alle Treffen werden online abgehalten.“

Mitten in der Vorbereitung erreicht mich eine Mail. Die Pressestelle der Hochschule schreibt mir. Die Hochschule hat alle ins Homeoffice geschickt, weshalb sie das hier auch von zu Hause schreibe. Alle geplanten Interviews solle ich per Telefon halten oder verschieben.

„Dazu ist es jetzt zu spät. Ich erreiche die Professorin nicht“, sage ich. Ihr Telefon ist tot. Wir versuchen eine andere Nummer herauszufinden, aber es gibt keine andere. Schließlich ist die Pressesprecherin damit einverstanden, dass ich doch hinfahre.

Für die Öffentlichkeit geschlossen

Ich fahre wegen dem Virus dem schönen Wetter mit dem E-Bike zum Termin. Alle Menschen sind draußen auf den Straßen, halten aber mehr Abstand voneinander als letzten Sonntag. Sie joggen, fahren Fahrrad, Inliner, Skateboard, Rollschuhe oder Longboard, sitzen im Anhänger, auf dem Laufrad, im Buggy, fahren mit dem Scooter, Kickboard oder Wakeboard, Einrad oder Hoverboard, wenn sie nicht gerade einen Hund ausführen.

Angekommen, schließe ich das Fahrrad ab und stoße die schwere Tür zur Hochschule auf. Im Flur steht ein Schild:

„Dieses Gebäude ist ab sofort für die Öffentlichkeit geschlossen. Zutritt ist nur den Mitgliedern der Hochschule gestattet.“

Ich bin nicht Mitglied der Hochschule.

Ich gehe hinein, laufe drei Treppen hoch und treffe meine Interviewpartnerin. Wir lächeln uns aus etwa zwei Metern Entfernung zu. Die nächsten anderthalb Stunden sind konzentriert ihrem Thema gewidmet. Es tut gut, einfach mal an etwas anderes zu denken.

Heute werden die ersten Nicht-EU-Bürger an den Flughäfen abgewiesen. Die Telekom überlässt dem Robert-Koch-Institut ihre Kundendaten, damit herausgelesen werden kann, wer sich wann wo aufgehalten hat. Ab heute gibt es auch ein Drive-through-Testzentrum für den Rhein-Neckar-Kreis. Wer zu den lucky few gehört, sich testen lassen darf UND ein Auto besitzt, meldet sich an, erhält einen Code auf sein Handy und rollt vor, um sich ein Wattestäbchen in den Mund stecken zu lassen.

Wieder zu Hause staune ich über die Sauberkeit, die mein Mann in der Zwischenzeit zum neuen Standard erhoben hat. Um es kurz zu fassen: Man kann vom Fußboden essen. Die Möbel stehen an anderen, besseren Stellen. Es gibt eine neue Puppenecke und eine Kuschelecke für die Kinder. Es ist so gut, einfach gemeinsam zu Hause zu sein! Sogar unser Osterurlaub wurde heute vonseiten des Hotels gecancelt. Nicht mal unsere Freizeit müssen wir jetzt noch planen. Wir sind befreit!

Geschenkte Auszeit

In unserer Familie sind viele Rentner, Lehrer, arbeiten in einem Gesundheitsberuf, im Handwerk oder bei der Bank. Branchen, die vom Virus kaum oder gar nicht betroffen sind. Außerdem gibt es eine Menge Kinder in der Verwandtschaft. Ein paar verlängerte Ferienwochen mit ihnen zu verbringen, den Frühling und den Garten richtig zu genießen fühlt sich trotz der Bedrohung gar nicht so verkehrt an. Eher wie ein Geschenk.

Ich weiß, dass ich in einer privilegierten Situation schreibe. Ich kann den nächsten Auftrag annehmen, oder auch erstmal keinen. Ich kann, sollte es zur Quarantäne zu Hause kommen, immer noch in den Garten gehen und mich an der Grundstücksgrenze mit dem Musiker unterhalten, der sein nächstes Konzert erst nächstes Jahr hat und jetzt den Garten umgräbt. Mir wird es zu Hause nie langweilig mit drei Kindern, ich würde mir sogar mehr Langeweile wünschen.

Heute sind es 12.327 Infizierte in Deutschland, 105 sind wieder gesund, 28 sind gestorben.

Coronatagebuch Tag #3

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Alles bekommt eine Bedeutung.

Dass die Sonne besonders frühlingshaft scheint. Dass die Vögel besonders laut singen. Dass es so ein Kratzen im Hals und einen leichten trockenen Husten gibt. Dass zwei von drei Kindern sich mit Bauchweh plagen und das dritte so starkes Asthma zeigt wie seit seiner Medikamenten-Einstellung nicht mehr.

Die Freunde sind gewarnt, kommen aber trotzdem. Es gibt einen schönen Spaziergang im Wald bis zu einem Kreuz auf einer Wiese. Der Wald ist voller Spaziergänger. Die Kinder sehen ein Reh.

In die Busse darf man jetzt nur noch hinten einsteigen. Rund um den Busfahrer ist eine Absperrung errichtet, damit er vor dem Virus geschützt bleibt. Die Deutsche Bahn meldet, ab Dienstag gebe es Einschränkungen im Nahverkehr. Es gibt keine Ticketkontrollen mehr. Deutschland macht seine Grenzen zu Österreich, Frankreich, Schweiz, Luxemburg und Dänemark dicht. In Tübingen wird am Impfstoff gegen das Virus geforscht, Hauptinvestor ist Dietmar Hopp. Es ist zu lesen, der US-Präsident möchte die Forscher für hohe Summen abwerben und den Impfstoff exklusiv nur für US-Bürger abkaufen. In einer Serie, die zu schreiben wäre, hätte er damit vielleicht Erfolg. Im echten Leben offensichtlich nicht.

Mittags bestellen wir Pizza in der Pizzeria. Es gibt Cola, Pommes und Fischfilet obendrein und die üblichen Diskussionen darüber, ob das gesund ist.

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Danach feiern wir Premiere: Wir trinken zum ersten Mal Kaffee im Garten. Seit wir viel Efeu und anderes grünes Gestrüpp beseitigt haben, sehen wir ab und zu auch mal die Nachbarin. Sie lebt alleine in einer Villa hinter der Mauer und ist 96 Jahre alt.

Die Kinder spielen im Sand und wir schicken eine Drohne über unser Grundstück, die uns beim Nichtstun zusieht.

Beim Kaffeetrinken kommen Mails rein. Ungewöhnlich für einen Sonntag. Bei mir steht eine Gehaltsverhandlung an, der zukünftige Arbeitgeber schickt mir sein Angebot. Mein Mann bekommt Neuigkeiten für den letzten Schultag morgen, was da zu tun sei.

Abends dann Zimmer aufräumen, Baden, Bücher vorlesen und Logo gucken. Die Kinder sind ziemlich fertig, das könnte aber an der Frühlingssonne liegen.

Heute 5800 Infizierte und 13 Tote in Deutschland.

Frühling im Schwarzwald

Frühling heißt auf Englisch „spring“, weil die Knospen und all das saftige Leben plötzlich aufspringt. Dachte ich immer. Frühling im Nordschwarzwald ist anders.

Die Knospen und Blätter schälten sich so mühsam aus den Zweigenden, dass ich wochenlang in Sorge war: machen es die Tulpen? Sind sie wieder erforen? Kommen diese Blätter an diesem Baum da noch, oder ist er vielleicht abgestorben?

Sorge, Mühe, Qualen, bis dann doch alles in zurückhaltender Blüte steht. Gleichzeitig beginnt aber schon wieder der Herbst, wie in Zeitlupe zeigen sich im Juli bereits erste Anzeichen: abgemähte Wiesen, kühle Nächte, morgens Nebel zwischen den Tannen.

12 von 12. Fototagebuch im März

12 Bilder am 12. eines Monats. Mehr davon gibt es auf dem Blog Draußen nur Kännchen.

Blinzel.

https://twitter.com/Landfamilie/status/708553104166359040

Heiß.

Iiiiiih.

Halloooo!

Schön.

Mmmmmm.

Buddel.

Guck ma.

Autsch.

Schluck.

Aus den Tiefen des Schranks.

Gammel.