
Landauto
Alle Wege führen früher oder später aufs Land. Um den Weg zurückzulegen, nimmt man gemeinhin das Auto. Das Auto muss vor dem Haus geparkt werden. Man steigt aus und kramt den Schlüssel für die Haustür heraus. Man parkt direkt vor der Haustür, und man macht sich gar nicht erst die Mühe, das Auto abzuschließen.
Vor Kurzem wohnte ich noch in einem Hof. Der Hof hatte etwa zehn Garagen.

Garagen für Stadtautos
Die erste Garage war unsere. Da passte unser Auto gerade so rein, wenn wir es in dem engen Hof ein paar Mal um 180 Grad drehten. Dabei röhrte und schnaufte das Auto immer etwas, was Nachbarin1 auf den Plan rief.
„Seiens BIDDE so gut unn drehen Sie sich als sooo rum unn ned sooo, wenn Sie in Ihrer Garaaasch neifahre. Die ganze Abgase kemman in mei Kich.“
Das wollten wir nicht, und so drehten wir das Auto immer andersherum. Das war kein Problem. Letzten Endes kam es immer gut in der Garage an.
Das Ganze ging jedoch nicht lange gut. Denn wir sind eine Familie mit damals noch einem, jetzt mit zwei Kindern und daher natürlicherweise Messies. Jeder, der mit Familien zu tun hat, kennt das: Da reicht ein Fahrrad nicht aus. Nein, es müssen partout alle Mitglieder der Familie eines besitzen. Und dazu der Fahrradkindersitz. Und der Fahrradanhänger. Und noch ein Laufrad. Und ein Bobbycar. Und ein Roller. Und Fahrradflickzeug. Und Sandschaufeln. Das passt alles nicht in eine genormte Heidelberger Garage. Aber das war ja zunächst nicht so schlimm. Es gab da noch eine vergitterte und anschließbare Box. Da kam alles rein, was Räder hatte, und noch mehr.
Bis Nachbarin2 sich ganz im Vertrauen an mich wandte:
„Wissen Sie, mich störts ja nicht. Aber in dem Unterstand da sieht es sehr unordentlich aus. Also, ich sag ja nichts! Aber das war früher net so. Ich sags ja nur.“
Wir hatten verstanden. Der bloße Anblick unseres Fuhrparks war eine Zumutung für unsere Nachbarn. Dem wollten wir sie nicht länger aussetzen. Und so kamen die mittlerweile fünf verrosteten Fahrräder, die drei schrottreifen Anhänger, die Herde Bobbycars und insgesamt eine Tonne Sandspielzeug die Garage. Das Auge der Nachbarn blieb fortan geschont.
Wer sich darüber nicht freute, war unser Auto. Denn wo sollte es fortan stehen? Wir probierten alles Mögliche aus.
Erster Versuch: Parken im Hof, mit 5cm Abstand zur Wand.
„Huuup! Huuuuuuuup!“
Ein Auto biegt in den Hof, Nachbar3 hat die Hand auf die Hupe gestemmt, fährt ohne Mühe und fast ohne abzubremsen vorbei, hält weiter hinten im Hof, seine Frau Nachbarin3 steigt aus:
„Was zum Deifel?! Parke Sie gefälligst so, dass man hier noch vorbeikommt! Das hats FRIEHER hier net gewwe! Wenn das ALLE machen würden!“
Zweiter Versuch: Parken auf der Straße vor dem Hof. Vor dem Reisebüro. Da ist ja abends und nachts keiner drin. Parkverbot besteht dort auch nicht.
Wieder Nachbarin3:
„Da können Sie net parke! Da ist PARKVERBOT! Unn außerdem weichen Ihnen alle vorbeifahrenden Autos aus unn fahre als über den KANALDECKEL. Bei dem Rumpeln können wir die ganze Nacht ned schlafe, wir schlafe awwa doch soooo schlecht!“
Parkverbot? Haben wir da etwas übersehen? Kein Schild weit und breit, weder eines, das ein Verbot, noch eines, das eine Erlaubnis zum Parken auf der Straße ausspräche. Wir haben allerdings eines verstanden: Wir befinden uns in einem Rückzugsgefecht. Aber wir geben nicht klein bei. Nein, wir verlagern unseren Parkplatz nur um etwa 2 Autolängen nach hinten und parken nun
Dritter Versuch: vor dem Blumenladen. Genau in dieser Woche findet eine großangelegte Razzia statt. Städtische Beamte in Blau nähern sich den Autos und hinterlassen Zettel an der Windschutzscheibe. Der VW-Bus vor der Rockerkneipe, der SUV vor dem Dönerladen, der New Mini vor dem Fitnessclub „Mrs Sporty“: Alle bekommen einen Strafzettel. Und unser Auto, das mittlerweile eine etwas größere Familienkutsche ist und sowieso kaum noch in die Garage gepasst hätte, auch.
Einmal ist keinmal, denke ich erst, und gehe davon aus, dass die Beamten vor einem halben Jahr nicht wiederkommen werden. Aber am nächsten Tag steht da schon wieder einer vor meinem Auto, als ich mit Fünfjähriger und Säugling zum Auto laufe. Der Beamte ist nett: Er zieht den Zettel wieder zurück. Aber er erklärt:
„Hier ist Parkverbot. In der ganzen Straße ist Parkverbot. Hier dürfen Sie nicht einmal halten. Merken Sie sich das fürs nächste Mal.“
Ich gebe meiner Verwunderung Ausdruck: Parkverbot? Wieso? Woher wissen? Er erklärt wieder geduldig:
„Das ist schon seit 20xx so. Seit hier die Straßenbahn fährt. Das ergibt sich ganz einfach durch die Breite der Straße.“
Oh. There’s so much to learn.
Vierter Versuch daher: Parken im Seitengässchen. Es gibt hier viele schöne, enge Seitengässchen. Sie sind viel enger als die größere Straße, in der wir wohnen, doch Parken ist hier ausdrücklich erlaubt. Klar! Jetzt verstehen wir auch, warum dort immer alle Autos stehen!
Manchmal, wenn es den Nachbarn hier noch nicht eng genug ist, stellten sie vor oder hinter den parkenden Autos Mülltonnen auf, als Abstandhalter. Damit wird das Ausparken zu einem wahren Kunststück. Einfach wegrollen kann man die Tonne nicht, denn: wohin? Es ist einfach kein Platz.

Parken im Seitengässchen mit Abstandhalter
Das Parken im Seitengässchen verläuft vom Prinzip her aber völlig reibungslos. Außer, dass ich mit Säugling im Autositz unterm Arm, mit ein oder zwei Rucksäcken und einem maulenden Kindergartenkind im Schlepptau mehrere Minuten, gefühlt: Stunden brauche, um bis nach Hause zu laufen.
Aber nach ein paar Wochen haben auch die Nachbarn in den Seitengässchen unser so sorgfältig ausgeklügeltes Parksystem spitzgekriegt. Und es ist eines klar: ES GEFÄLLT IHNEN NICHT!
Einmal will mein Mann vor dem Treppchen eines schmucken Häuschens parken, mindestens 200 Meter von zu Hause entfernt. Nachbarin4 tritt heraus und sagt:
„Sie haben eine Garage.“
Wir haben Nachbarin4 noch nie in unserem Leben gesehen. Woher weiß sie, dass wir eine Garage mieten?
Wir kommen uns jetzt vor wie in einem Schachspiel. Nach jedem Zug, den wir ziehen, sagt unsere Gegner: „Schach“. Nach jedem. Aber einen versuchen wir noch:
Fünfter Versuch: Wir schreiben Bewerbungen. Besser gesagt: Der Mann, der eine Stelle sucht, schreibt Bewerbungen. Er schreibt überallhin, wo es viele Parkplätze gibt. Nach ein paar Monaten die Zusage: Ein Dorf im Nordschwarzwald soll unser neues Zuhause sein. Nicht mehr 1400, sondern nur noch 70 Einwohner pro Quadratkilometer. Die Wahrscheinlichkeit, beim Parken einen Nachbarn zu treffen, ist damit um 95% gesunken.
Einige Zeit später. Unser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Wir können jetzt parken, wie und wo es uns gefällt. Wir werden uns demnächst weitere Autos kaufen, mit Allradantrieb und Hänger, oder ein paar Tipis, wie sie hier manche Leute besitzen, Trampoline und Helikopter. Hauptsache, wir können sie alle hier parken. Und das können wir.